Ein Brief an das Medium Videospiel: Die Content-Krankheit & die Unmündigkeit der Spieler

Liebes Videospiel,

ach du schönes Medium. Wie ich dich gerne habe und du meine Zeit versüßt! Wie ich bereitwillig meine Lebenszeit investiere, um in deine Welten abtauchen zu können. Es ist herrlich! Du bist herrlich, Videospiel!

Allerdings hast du dich verändert. Du bist nicht mehr wie früher. Du bist gefälliger geworden. Putzt dich ständig raus mit deinem Bling-Bling Krams, deinen ganzen Rumgeleuchte und Aufgeblinke. Ständig servierst du mir alles auf dem Silbertablett und erklärst mir dabei alles dreimal, ohne das ich selbst gefragt habe. Du bist nur noch auf Kuschelkurs und trägst mir alles hinterher. Und ich weiß auch warum du das machst.
Glaub ja nicht, ich hätte nichts gemerkt! Du gehst mir fremd, mit diesem ach so tollen Filmmedium.

Aber sei es drum. Du bist eh fett geworden. Ja, richtig gigantisch sogar! Ohne Karte weiß ich nicht mal mehr wo oben und unten ist. Und ständig kotzt du mich zu, mit irgend-welchem Billig-Loot der mir nichts bringt, verlangst aber gleichzeitig, dass ich mich ständig durch irgendwelche Zahlenverhältnisse verbessern müsste. Was ist aus dir geworden, Videospiel?! Es tut mir leid, aber du langweilst mich.

So, real talk.

Videospiele sind ein wunderbar abwechslungsreiches Medium, voller kreativer Ideen, interessanter Geschichten und immersiven Welten. Diese sind aber mittlerweile so zugeballert mit Content, dass man im Prinzip kaum noch anderen Hobbies nachgehen kann. Überfrachtet mit Aufgaben die bei einem Mario-Titel zwar gut funktionieren, aber den Großteil der Spiele einfach nur künstlich aufblähen.

A zu B: „Und was machst du so in deiner Freizeit?“

B: „Ich spiele grade ein Videospiel mit apokalyptischem Setting und einer echt geilen immersiven Open World. Mit Fraktionskriegen und richtigem Handelssystem. Krass realistischen Waffenhandling und Survivalelementen!“

A: „Und was macht man da so?“

B: „Ach, momentan muss ich noch 4 gold-blinkende Schädel finden, um lila Schuhe zu bekommen, die mein Waffenschaden um ganze 4% erhöhen!“

A: „…“

Die „Korpulenz“ der Videospiele ist eine ernsthafte Krankheit geworden. Nicht, dass traditionell fette RPGs damit gemeint wären. Deren Übergewicht liegt in ihrer „RPG-DNA“. Traurig ist, dass das Open-World-Übergewicht ein ernsthaftes Problem aller Genres geworden ist. Keiner kann mehr maßhalten, sich mit weniger Raum zufriedengeben.
Viele Spieleserien sind dadurch nicht unbedingt schöner geworden, sondern haben ihren Stil verloren, ihre Klasse, ihre Identität. Sie sind zu Mammutprojekten herangewachsen, die einem quasi mit Content erdrücken. Hier muss ich auf eine weitere Krankheit hinweisen, die sich schnell verbreitet: Der Loot & Skill-Virus. Mittlerweile alle Spielgenres kotzen Spieler voll mit Loot und nötigen sie zudem mathematische Formeln zu lösen, um erfolgreicher sein zu können bzw. sogar sein zu müssen(!). Verbesserungen, allein durch irgendwelche investierten Punkte, die letztlich nur eine andere Schadensberechnung, Lebensbalken-Regenerationszeit, Waffeneffektivität, Sprungregulation, Dimensions-akkulumationszeit, Gartenschlauchlänge oder Regentropfenabstand mit lediglich minimalen Prozentabstufungen zur Folge haben – denn viel Loot ist wichtig!

Far Cry 3: Blood Dragon – Ironische Tutorial Meldung

Hier kommen wir zum nächsten Punkt: Tutorials! Wieso wird den Spielern nicht zugetraut, in die Optionen zu schauen, um zu erkennen welche Tasten für was stehen? Wieso müssen Spieler immer von neuem lernen wie man springt oder schießt? Natürlich kann ich verstehen, dass besondere Spielmechaniken ein direktes Verständnis für Aktion und Reaktion zwischen Eingabe der Tasten und Veränderung bzw. Verhalten der Spielfigur oder der Spielwelt benötigen. Das sollte aber auch das einzige sein, was es zu erlernen gibt!
Für „Standard-Mechaniken“ benötigt niemand ellenlange Einblendungstexte mit Erklärungen wie: „Das ist ihre Sprungtaste. Damit können Sie über Abgründe und Hindernisse springen“, „dies ist die Taste zum Ducken. Damit können Sie unter Hindernisse hindurch gelangen“. Das ist doch logisch! Ok, gut. Ich verstehe, dass Spiele auch so konzipiert werden, dass Menschen ohne Spielerfahrung möglichst einfach Zugang erhalten und der Entwickler diese Zielgruppe nicht überfordern möchte. Allerdings könnte ich auch argumentieren, dass nach dieser Logik Filme vor dem eigentlich Filmbeginn ebenso einen kurze Einführung haben müssten wie etwa: „Die Volume Einstellungen ändern die Lautstärke des Filmes“ und „Sie können den Film jederzeit mittels Pause-Taste anhalten, um sich eine kleine Pause zu gönnen“.

Also Videospiel, wieso willst du sein wie ein Film? Ich verstehe das nicht! Wieso habe ich Schwierigkeiten Spiele zu finden, wo die Spielwelt und Story in den jeweiligen Leveln oder Spielweltabschnitten so ineinander übergehen, dass sie organisch eine Geschichte erzählen, ohne dass ich mir tausende Cutscenes geben muss? Dass das eigene Spielerlebnis und die Spielwelt im Vordergrund stehen.

Gleichzeitig aber bietest du mir enorme Spielwelten, in denen ich dann wiederum aber
den Faden verliere und mich mit Belanglosigkeiten nötigst. Was willst du eigentlich?

Also Videospiel, wieso versuchst du nicht deine eigenen Stärken, Spiel sein zu können zu skillen, als peinlich den Film zu imitieren? Und wieso versuchst du deine Gameplay-Unfähigkeiten hinter Loot, Leveln und anderen Zahlen-Geschwurbel zu verstecken.
Du verskillst dich. Just sayin‘!

Dein dich (eigentlich) noch immer liebender Verehrer,
Jan

Autor*in

1 Kommentar

  1. Wunderbare Meinungsäußerung des Autors! Auch wenn die Korpulenz der aktuellen Spiele gefällt, ist es schade das einem das wahre spielen eher abgenommen oder bevormundet wird ohne das man es will oder entscheiden kann…mal sehen was uns die Zukunft bringt?!

Gib deinen Senf dazu

Bitte gebe deinen Kommentar ein!
Bitte gebe hier deinen Namen ein