Ein Brief an das Medium Videospiel: Alte Tugenden

Liebes Videospiel,

auch wenn du in deinen Pupertätsphasen oft undurchschaubar und zwanghaft komplizierst warst und dich über die typtischen Videospiel-Mechanismen hinaus ausprobiert hast, gibt es doch Werte die dir wichtig sind. Eigenschaften die dich überhaupt erst als Videospiel ausmachen. 

Ja, es ist wichtig sich zu hinterfragen und eine Identität zu finden. Why not?! Man muss auch mal ausbrechen, aus diesem Korsett der ewigen Punktejagt. Welches entweder repräsentiert wird durch das Aufsammeln von wertvoll blinkenden Icons, das Zerschießen irgendwelcher Monster und Raumschiffe, oder das Verprügeln armer, obdachloser Punks. Letztlich kamen durch die Abweichung des damals vorherrschenden Highscore Konzeptes extrem viele unterschiedliche Genres hervor.
Interessant ist allerdings, dass du dich als Videospiel immer daran Messen musst, ob du auch ein solches bist, ein Spiel. Oder aber ob der Begriff des „Spiels“ nicht so eng gesehen werden sollte. Du dich davon gelöst hast und als „Spiel“ im engeren Sinne nicht reduziert werden darfst. Was macht dich also aus?

Manche Menschen weinen einer alten Zeit hinterher. Einer Vergangenheit, die für andere, junge Menschen nicht mehr erfahrbar ist, oft nicht mehr nachvollziehbar ist. Oder aber (zum Glück, oder zum Unglück – abhängig von der eigene Perspektive) als überwunden gilt.
Die Erinnerungen der Vergangenheit können allerdings oft täuschen. Die Erfahrungen von damals sind eben nicht vergleichbar mit der Situation von heute. Es waren damals andere Rahmenbedingen. Insbesondere technische Rahmenbedingungen begrenzten die Entwickler in der Umsetzung ihrer Ideen. In der heutigen Zeit scheinen Entwickler in ihren Ideen allerdings eher von Marktanalysen der Publisher und Verkaufsprognosen begrenzt zu werden.

Mit Hinblick auf die „Videospiele“ deren einzige Interaktion aus eingestreuten Knopfdrückpassagen in der Plothandlung & der Auswahlmöglichkeit innerhalb festgeschriebener Dialogstränge besteht, können allerdings schon Zweifel aufkommen. Dann fragt man sich manchmal, ob man gerade etwas spielt, oder sich nur anschaut.
Was ist noch Videospiel, und was ist schon Animationsfilm? Allerdings kann man hier wiederum argumentieren, dass derartig funktionierende Videospiele ein eigenes Genre sind und als dieses gleichberechtigt neben anderen, eher aktiv spielbaren Spielegenres stehen dürfen. Diese Art der Spiele sind womöglich eine neue Art der Textadventures unserer aktuellen Zeit.

Ein Videospiel hat nicht nur die Eigenschaft ein Spiel zu sein. Es bedarf mehr als das. Erfolgreiche Videospiele – insbesondere die im Gedächtnis gebliebenen – halten sich dabei stets an ihre Tugenden und das unabhängig vom technischen Fortschritt.
Ein Gutes Beispiel dabei ist The Legend of Zelda: Breath of the Wild. Die Entwickler haben ihre Ideen zuvor in einer 8-Bit ähnlichen 2D Umgebung umgesetzt, um zu testen, ob bestimmte Ideen als Spiel Sinn machen. Das Gameplay von Zelda basierte also zuvor auf einer 2D Umgebung.

Breath of the Wild 2D-Prototyp

Es musste erst in einer minimalisierten 2D Engine „flutschen“, bevor es dann in 3D umgesetzt wurde. Hier zeigt sich wie wichtig überhaupt die eigentlichen Spielmechaniken sind. Wie stark Spielmechaniken alleine ein Videospiel ausmachen. Dem Videospiel eine Identität geben.

Die heutigen technischen Möglichkeiten garantieren per se kein phänomenales Spiel. Da kann noch so viel Geld in der Produktion für eine atemberaubende Grafikpracht ausgegeben werden. Ultra-realistische Animationen und überragend realitätstreue Texturen überfluten in der Werbephase des Spiels die Medien und beeindrucken das Publikum. Allerdings besteht immer das Risiko, dass das eigentliche Spiel zu einem Postkartenmotiv-Simulator verkommt. Sofern das Gameplay nicht motivieren kann, nutzt sich das Staunen über die Grafik schnell ab. Die bloße Grafikpracht ist nun einmal vergänglich und wird immer überholt werden können.

Wichtiger scheint ein weitestgehend selbsterklärtes Gameplay, mit einer darauf abgestimmten Spielwelt, die das Gameplay und Spielwelt sinnvoll mit einer passenden Story verbindet. Wie eine Art Heilige Dreifaltigkeit. Gameplay, Spielwelt, Story. Es sind die alten Tugenden jener Spiele, die aufgrund ihrer technischen Limitation umso mehr darauf angewiesen waren, diese 3 Elemente perfekt zu verbinden. Es war früher umso wichtiger, die minimalistischer Grafik mit einem passenden (wenn auch groben) Storyplot auszufüllen, um die Fantasie der Spieler anzuregen und die Spielwelt glaubhaft erscheinen zu lassen. Und es war umso wichtiger durch gute Spielmechaniken und einer meist storygestützen Spielprogression die Motivation aufrecht zu halten.

Ebenso sind Remakes alter Spiele, die ihrer Grundmechanik treu bleiben, oder Remastered-Versionen nicht allein mit einem Retro-Trend zu erklären. Es sind oft Spiele, die diese heilige Formel der Dreifaltigkeit – damals wie heute – extrem gut umgesetzt haben und somit zeitlos wurden.
Bis auf den Wegfall der Continue in fast allen Videospielen, hat sich doch eigentlich nicht so viel geändert.

In diesem Sinne: Im Namen der Spielwelt, der Story und des heiligen Gameplays!

Dein dich (eigentlich) noch immer liebender Verehrer,
Jan

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