Assassin’s Creed Shadows und Ghost of Tsushima: Copy & Paste oder unterschiedlicher als man denkt?

Die Welt des feudalen Japans hat nun unter anderem zwei bedeutende Vertreter in der Gaming-Landschaft hervorgebrach, die sich im AAA-Kosmos bewegen: Ghost of Tsushima und Assassin’s Creed Shadows. Beide Spiele versprechen uns in eine historisch inspirierte, detailreiche Welt zu entführen. Doch wie ähnlich sind sie sich wirklich? Und wo liegen die Unterschiede? Werfen wir mal meinen detaillierten Blick auf Struktur, Art Style, Ausrichtung, Lebendigkeit, Komplexität und Interaktivität.

Offene Welten, aber unterschiedliche Philosophien

Auf den ersten Blick könnten beide Spiele Zwillinge sein: ein historisches Japan, eine offene Spielwelt voller Intrigen, Kämpfe und Geheimnisse. Doch während Ghost of Tsushima seine Welt stark auf Atmosphäre und cineastische Inszenierung fokussiert, bleibt Assassin’s Creed Shadows der DNA der Reihe treu und setzt auf eine stark verzweigte, missionsbasierte Erzählung mit zahlreichen Nebenquests und Sammelobjekten. Doch das heißt nicht, dass Shadows nicht auch auf eine starke Inszenierung setzt. Allerdings präsentiert sie sich weniger vordergründig und so als zentrale Ausrichtung, wie in Ghost of Tsushima.

Ghost of Tsushima zeichnet sich durch eine organische Erkundung aus: Der Wind führt uns subtil zu Zielen, die Welt entfaltet sich langsam und meditativ. In Assassin’s Creed Shadows hingegen dominieren klassische Ubisoft-Mechaniken: Aussichtspunkte erklimmen, Karte aufdecken, Missionen abarbeiten. Die Struktur wirkt hier vertrauter, fast schon routiniert, während Ghost of Tsushima mit minimalistischem Interface und subtiler Spielerführung punktet. Ihr könnt auch einstellen, dass das Spiel weniger auf Ereignisse hinweisen soll und tatsächlich hilft das der Immersion sehr. Allerdings fühlt es sich in Ghost of Tsushima mehr danach an, dass Dinge einfach mal so passieren und man bewusst Signale aus der Welt deuten muss, um auf diese Ereignisse zu stoßen. In Assassin’s Creed Shadows fühlt es sich ein wenig vorhersehbarer an und dass ich an vorprogrammierten Spots vorbei komme. Trotzdem versteht es Shadows ebenfalls gut mein Interesse zu wecken, etwa wenn Leichen vor einem alten Tempel liegen.

Kulturelle Elemente sind in beiden Spielen ein wichtiger Bestandteil.

Art Style: Realismus trifft stilisierte Ästhetik

Visuell könnten die beiden Spiele kaum unterschiedlicher sein. Ghost of Tsushima setzt auf einen fast kunstvollen Realismus: raschelnde Blätter, sanfte Sonnenuntergänge, nebelverhangene Wälder – die Ästhetik erinnert an klassische Samurai-Filme von Akira Kurosawa. Die Landschaft ist nicht nur Kulisse, sondern Teil der Erzählung, ein emotionaler Resonanzraum. Zudem zeigt sich Ghost of Tsushima je nach Situation kontrastarm oder auch mal extrem kontrastreich. Es versteht die jeweilige Stimmung sehr gut visuell einzufangen und stellt immer erzählerischen und atmosphärischen Teil ins Zentrum seines Designs.

Im Gegensatz dazu wirkt Assassin’s Creed Shadows stilistisch etwas nüchterner, weniger verspielt und auch realistischer. Auch hier lassen teils kräftige Farben die Welt lebendig werden; sie sind aber stets als Teil einer realistischen Welt zu verstehen, die sich nicht in zu viel Stilisierung verliert. Außerdem ist Shadows auch in vielen Teilen mit mehr Details gespickt, wie etwa Umgebungsobjekten, die die Spielwelt füllen. Zwei komplett verschiedene Ansätze, die beide auf ihre Art das Spiel auszeichnen. Doch Ghost of Tsushima ist in seiner etwas künstlerischen Ausprägung sicher das optisch einzigartigere Spiel.

Die Ästhetik von Ghost of Tsushima unterscheidet sich wesentlich von Assassin’s Creed Shadows, aber auch anderer großer Titel.

Ehrenkodex vs. Meuchelmörder-Mentalität

Die vielleicht spannendste Differenz liegt in der spielerischen und erzählerischen Ausrichtung. Ghost of Tsushima erzählt die Geschichte eines Samurai, der mit seiner Ehre ringt, während er gezwungen ist, Methoden zu nutzen, die seinem Kodex widersprechen. Dieses moralische Dilemma prägt das gesamte Spiel und erzeugt eine tiefgründige, emotionale Spielerfahrung. Ghost of Tsushima reißt mit, man fühlt sich verbunden. Schwere Wendungen lassen hier eine Achterbahn der Gefühle zurück.

Assassin’s Creed Shadows hingegen kennt solche Zweifel kaum: Als Assassine gehört Heimlichkeit, Täuschung und das Attentat zum Tagesgeschäft. Die ethische Ambivalenz wird weniger hinterfragt, sondern vielmehr als selbstverständlich akzeptiert. Das Gameplay ist eben auf Schleichen, Parkour und gezielte Eliminierungen ausgerichtet – ein klassisches Assassin’s Creed eben, das jedoch durch das japanische Setting frischen Wind erhält. Ja, rund um Naoe kommen auch mehr Emotionen ins Spiel. Doch im Kern spinnt sich das Konstrukt um eine sehr klassische Rache-Geschichte, die aber mit tatsächlich sehr spannenden Eindrücken aus ihrer Vergangenheit ausgeschmückt wird.

Lebendigkeit und Komplexität: Atmosphäre trifft Systemtiefe

In puncto Lebendigkeit verfolgen beide Titel unterschiedliche Ansätze. Die Welt von Ghost of Tsushima fühlt sich lebendig durch ihre Atmosphäre an: Dorfbewohner gehen authentisch ihren Tätigkeiten nach, Tiere kreuzen unseren Weg, und dynamische Wettereffekte sowie Tageszeitenwechsel sorgen für ein immersives Erlebnis. Allerdings bleibt die Interaktion mit NPCs oft oberflächlich – Dialoge sind reduziert, und die Welt reagiert nur begrenzt auf unsere Handlungen. Streng genommen hat Ghost of Tsushima sogar eine recht „vorgegebene“ Welt, die sich der Erzählung der Geschichte unterordnet.

Im Gegensatz dazu setzt Assassin’s Creed Shadows auf eine komplexere Spielwelt mit zahlreichen Interaktionsmöglichkeiten. NPCs bieten umfangreichere Dialogoptionen, die zugegeben aber oft belanglos sind und es gibt mehr Möglichkeiten, aktiv Einfluss auf die Umgebung zu nehmen. Die Städte und Dörfer wirken belebter, dichter bevölkert und interaktiver, was wiederum die Komplexität und Tiefe der Welt erhöht, wenn man es unter dem Gesichtspunkt einer Weltensimulation sieht.

Minimalismus vs. maximale Freiheit?

Die Interaktivität der Welt unterscheidet sich ebenfalls stark: Während Ghost of Tsushima bewusst minimalistisch bleibt und den Fokus auf Kampf, Erkundung und Atmosphäre legt, bietet Assassin’s Creed Shadows deutlich mehr spielerische Freiheiten. Man kann viel mehr Gebäude betreten, Objekte manipulieren, Handelsbeziehungen eingehen oder politische Intrigen beeinflussen. Wo Ghost of Tsushima eine eher passive, beobachtende Rolle einnimmt, um die Story als Dreh- und Angelpunkt zu fördern, versucht „Assassin’s Creed Shadows“ uns aktiv herauszufordern, die Welt nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Der Ansatz ist also komplett unterschiedlich, allerdings ist der Sandbox-Aspekt auch nicht immer so tiefgreifend, wie es vielleicht gewollt war. Beispielsweise fallen Entscheidungen für die Veränderung der Welt kaum ins Gewicht. Auch der Basenbau fühlt sich eher als ausgelagertes Spielelement an, als ein in die Welt organisch implementiertes Feature. Denn die Welt selbst reagiert darauf nicht. Ich für mich kann lediglich dort Anpassungen vornehmen, die aber getrennt von Geschichte und dem Rest der Welt verlaufen.

Verwandte Seelen, unterschiedliche Wege

Ja, Assassin’s Creed Shadows und Ghost of Tsushima teilen sich ein Setting und oberflächliche Ähnlichkeiten. Doch ein genauer Blick offenbart zwei Spiele, die trotz ihrer Gemeinsamkeiten ganz eigene Wege gehen. Während Ghost of Tsushima eine bedächtige, emotionale Reise in einer atmosphärisch dichten, aber eher passiven Welt bietet, setzt Assassin’s Creed Shadows auf bewährte Mechaniken, temporeiche Action sowie eine komplexere, interaktivere und lebendigere Spielwelt, die sich aber in doch bewährte Spielmechaniken der Reihe eingliedern.

Am Ende profitieren wir von dieser Vielfalt. Denn beide Spiele bieten uns auf ihre eigene Art einzigartige Perspektiven auf eine faszinierende Kultur und Geschichte. Denn wenn man sich beide Spiele genauer anschaut, werden uns eben dort mehr Unterschiede bewusst, als man auf den ersten Blick glauben mag.

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