Mit Mario Kart World erschien Anfang Juni der neunte Hauptteil der beliebten Fun-Racer-Serie als Launchtitel für Nintendos neue Hybrid-Konsole, die Switch 2. Die Resonanz ist überwiegend positiv: Spieler*innen loben die frischen Gameplay-Ansätze und den hohen Spaßfaktor, vor allem bei Rennen mit bis zu 24 Teilnehmenden. Auch in der Fachpresse wird Mario Kart World fast durchweg gelobt. Die häufigste Kritik: die neue Open World, die vielen noch zu leer und unbelebt erscheint. Doch eine andere, viel zentralere Schwäche, bleibt in Tests und Erfahrungsberichten meist unerwähnt. Eine Schwäche, die aus einem Evergreen schnell einen zur Seite gelegten Titel machen könnte.
Große Welt mit größeren Problemen?
Mario Kart World bietet mit dem klassischen Grand-Prix-Modus, dem neuen Battle-Royale-Modus „Knockout Tour“, Zeitfahren und zahlreichen Mini-Missionen in der Open World, so viel Offline-Content wie kaum ein Teil zuvor. Doch wie bei jedem Serienteil ist auch dieser Content irgendwann ausgeschöpft. Was Spieler*innen wirklich langfristig bei der Stange hält, ist der Online-Modus. Und genau dort zeigen sich einige Schwächen. Neben der Kritik, dass sich der neue Modus „Knockout Tour“ bislang nicht ohne Weiteres mit Freundinnen spielen lässt und der umstrittenen Punktevergabe – die stark an Mario Kart Wii erinnert – gibt es ein deutlich größeres Problem: ein grundlegendes Gameplay-Problem.
Wie der Titel des Spiels schon verrät, spielt Mario Kart World in einer großen, miteinander verbundenen Welt. Das bedeutet: Alle Strecken sind über verschiedene Routen, Straßen und Schleichwege miteinander verknüpft. Der Clou dabei ist, dass viele Strecken zunächst angesteuert werden müssen. Bevor man also beispielsweise Marios Piste fahren kann, muss man im Zweifel erst einmal von der letzten Strecke aus über eine längere Verbindung dorthin gelangen. Die größte Sorge vieler Spieler*innen beim ersten Reveal-Trailer war, dass diese Übergangspfade langweilig und ereignislos wirken könnten. Doch genau diese Befürchtung konnte Nintendo überraschend gut entkräften. Zahlreiche Hindernisse, klassische Kurven, alternative Wege und kleine Streckenelemente machen die In-Game-Autobahnen deutlich spannender, als es zunächst den Anschein hatte.

Bagging, bagging you!
Weil diese Verbindungswege aber einiges an Zeit in Anspruch nehmen, wird die finale Strecke – in unserem Fall Marios Piste – nur noch einmal statt wie gewohnt in drei Runden gefahren. Eine einzige Runde, die je nach Strecke in weniger als einer Minute vorbei sein kann. Und genau in dieser kurzen Phase entscheidet sich meist das gesamte Rennen für die bis zu 24 Spieler*innen. Zwar passiert auch auf dem Weg zur eigentlichen Strecke einiges, doch bleiben die Charaktere oft eng beisammen. Diese Spielmechanik führt ungewollt zu einer Lektion, die derzeit viele auf die harte Tour lernen und für einige die Online-Erfahrung nachhaltig zerstört.
Wie in jedem Mario Kart sind Items oft der entscheidende Faktor zwischen Sieg und Niederlage. In der Serie hat sich dafür eine Taktik etabliert, die viele Profis als „Bagging“ bezeichnen. Dabei handelt es sich um ein gezieltes Zurückfallen in den ersten Rennabschnitten, um möglichst starke Items zu sammeln – etwa Goldpilze oder Raketen –, die dann in der letzten Runde in Kombination mit geschickt gewählten Shortcuts den entscheidenden Vorteil bringen können. In klassischen Rennen ist Bagging oft eine sinnvolle, aber riskante Strategie. In Mario Kart World hingegen, mit seinen langen Verbindungswegen vor der eigentlichen Strecke, ist das Risiko deutlich geringer: Wer sich einfach zurückfallen lässt und ruhig mitfährt, kann sich problemlos mächtige Items sichern, bleibt trotzdem nah an den restlichen Mitfahrenden und nutzt dann die finale Runde, um sich von Platz 24 an die Spitze zu katapultieren, während die anderen sich bereits minutenlang ein echtes Rennen geliefert haben.

Diese Technik funktioniert so gut wie in keinem anderen Mario Kart und wird von vielen Profis bereits als fester Bestandteil der Meta betrachtet. Auch ich kann bestätigen, dass sie effektiv ist: In den meisten Rennen, in denen ich sie angewendet habe, landete ich mindestens im vorderen Drittel. Was mich daran stört, ist, dass ich absichtlich die ersten zwei bis drei Minuten eines Rennens schwach spielen muss, nur um am Ende für rund 30 Sekunden richtig abliefern zu können. Ein Umstand, der mir massiv den Spielspaß raubt. Ich habe zwar bei einem Streamer gesehen, dass zu exzessives Bagging bestraft wird: Weil er zu lange auf Platz 24 stehen blieb, erhielt er nur zwei Münzen. Solche Strafen greifen jedoch meist nur in extremen Fällen.
Spieler*innen, die schon einige Tage online unterwegs sind, empfinden das mittlerweile ebenfalls eher als negativ. Denn klassische Rennen – drei Runden ohne lange Hinwege – gibt es zwar noch, doch sind sie deutlich seltener in der Auswahl oder oft nur über den „Zufall“-Button bei der Streckenauswahl zu erreichen. Das führt dazu, dass erfahrene Spieler*innen in einem Raum fast ausschließlich den Zufallsmodus wählen, weil ihnen auch der Spaß und nicht nur das Gewinnen im Vordergrund steht. Nintendo verbaut sich damit selbst den eigenen Online-Modus, und ich fürchte, dass ein klassischer Modus ohne Hinwege die einzige langfristige Lösung ist, um dieses Problem zu beheben.

Mehr Chaos als Kart
Schlussendlich fällt vielen auch das Balancing negativ auf. Das ist bei einem neuen Spiel zwar nicht ungewöhnlich und sicher wird es noch einige Patches geben, dennoch ist es beeindruckend, welches Chaos 24 Fahrer*innen online anrichten können. Mario Kart World Online gleicht einem einzigen Schlachtfeld. Auch wenn einige Strecken etwas breiter sind, fährt die Gruppe häufig sehr dicht beieinander. Und selten waren generische Treffer so frustrierend. Es kommt nicht selten vor, dass man vom ersten Platz plötzlich auf Platz 20 abrutscht und dabei ordentlich Minuspunkte im Versus-Ranking kassiert.
Das Problem: Die meisten Angriffsitems wie Rote Panzer, den Bumerang, die Hammer oder den Gigapilz bekommt man hauptsächlich im Mittelfeld. Während an der Spitze vor allem Verteidigung zählt und hinten das Aufholen im Fokus steht, tobt im Mittelfeld eine regelrechte Schlammschlacht. Und wer einmal dort hineingerät, wird oft direkt nach ganz hinten durchgereicht. Unzählige Male habe ich erlebt: Auf Platz 1 trifft mich ein roter Panzer, wenige Sekunden später holt mich auf Platz 5 der Bumerang ein – und ehe ich mich versehe, liege ich auf Platz 13 und werde schlussendlich vom Gigapilz überrollt und völlig ausgebremst. Ja, es ist Mario Kart. Und ja, ein gewisser Chaosfaktor gehört dazu. Aber so unausgeglichen wie in diesem Teil war es noch nie. Ein weiterer Grund, warum viele Profis Bagging inzwischen als essentiell ansehen: um sich möglichst gar nicht erst mit dieser Chaoszone im Mittelfeld anlegen zu müssen.

Mit Tuning zurück in die Pole Position
Abschließend lässt sich sagen: Mario Kart World ist rein spielmechanisch vielleicht das beste Mario Kart aller Zeiten, doch wirkt der Online-Modus in Teilen frustrierend und schreit förmlich nach einem Balancing-Patch. In keinem anderen Teil der Serie war es so leicht, seine Pole Position zu verlieren und innerhalb von Sekunden von der Spitze ins letzte Drittel geprügelt zu werden. Genau diese Ungleichgewichte, kombiniert mit den langen Wegen vor dem eigentlichen Rennen, zwingen Spieler*innen fast schon dazu, die ersten zwei bis drei Minuten absichtlich vorsichtig und defensiv zu fahren. Eine Entwicklung, die dem „Fun“ im Fun Racer spürbar den Schwung aus den Reifen nimmt. Es bleibt zu hoffen, dass Nintendo diese Probleme bald erkennt – und auch behebt!
Artikelbilder: ©Nintendo