Ein Brief an das Medium Videospiel: Die Schönheit des Scheiterns

Liebes Videospiel,

du hast mir immer Spass bereitet. Warst eine Herausforderung. Du hast mich an dir Scheitern lassen. Manchmal auch mit billigen Tricks, aber es hat mir gefallen. Ich war dir verfallen. Auch wenn ich nicht selten frustriert war, wollte ich aus dem Scheitern lernen. Du hast mich gelehrt deine Mechaniken meistern zu müssen, um deine Herausforderungen bestehen zu können.

Nun aber du bist gefällig geworden. Du hast dich angepasst und willst es allen Recht machen. Der starke Einfluss des Filmmediums tut dir auf Dauer einfach nicht gut.
Glaub mir!

Du willst sein wie ein Film, aber gleichzeitig hast du Probleme mit der kürze des Films? Dann geh doch gleich zum Serienmedium! Ich glaube aber du weißt selbst nicht mehr was du bist und rennst nur den Trends hinterher, oder?
Ich glaube du hast einfach nur Angst vor dem Scheitern!

Das Scheitern, im Gegensatz zum Filmmedium ist aber Teil des Spielens. Es fördert Situationen die adrenalinstiftenden Nervenkitzel produzieren. Andererseits auch Situationen die sich anfühlen können wie eine unüberwindbare Backsteinwand. Dabei zählt der Wille, die mehr oder wenigen komplexen Mechaniken des jeweiligen Spiels zu verinnerlichen. Oder anders gesagt: In den Flow zu kommen. Derartige Situationen können nicht einfach mit Quick-Time-Events ersetzt werden.

Ein Quick-Time-Event aus dem Videospiel „Detroit: Become Human“

Quick-Time-Events… Wer sich diesen Mist ausgedacht hat, sollte dazu verdammt werden, sein Leben in Quick-Time-Events führen zu müssen. „Drücke mehrmals X um die Kaffeetasse zu füllen“, oder „die Klospülung durch schnelles drehen des Analogsticks zu aktivieren“. Quick-Time-Events sind kaum ein immersiver Faktor, sie wirken oft einfach nur fehl am Platz.

Spielmechaniken sind – wie die Naturgesetze unserer Realität – die einzigen Handlungsmöglichkeiten, welche dir den Rahmen vorgeben und begrenzen.
Die Spieleentwickler sind es, die diese Gesetze vorgeben. Und sie sind es auch, die es letztlich in der Hand haben, wie sich ein Spiel anfühlt. Ob es sich wie eine lahme Eisenbahn auf vorgegebenen Schienen, eine Fahrradtour auf dem Mond, oder ein Dragsterrennen unter Wasser anfühlt. Spiele haben die Möglichkeit unrealistisch sein zu dürfen, mit den üblichen Naturgesetzen zu brechen und diese neu zu denken. Selbst die Glitches und Bugs, die insbesondere während Speedruns ausgenutzt werden können, sind – wenn auch von den Programmierern ungewollt -Teil der zugrunde liegenden Spielregeln.

Hinzu kommt dass Spiele offenbar mehrere hundert Stunden lang sein müssen. Die Länge des Spiels scheint offenbar ein Qualitätsmerkmal zu sein. Die Spieler sollen möglichst lange am Spiel sitzen können, um bloß nicht das Gefühl aufkommen zu lassen, für das Geld zu wenig geboten bekommen zu haben. Die Länge des Spiels macht heute überhaupt erst den Wert eines Spiels aus. Früher, als Spiele generell kürzer waren, wurde die kurze Spielzeit häufig damit kompensiert, dass kontinuierlich die Schwierigkeit im Spielverlauf angezogen wurde. Bei vielen Spielen der letzten 5 Jahre werde ich allerdings das Gefühl nie los, dass ich nach der Hälfte der Spielzeit schon alles gesehen habe und sich nur noch alles bis zum Finale in die Länge zieht.

Red Dead Redemption 2 erschlägt die Spieler förmlich mit einer riesigen Open-World

Jaja… Ich wusste doch das du dich auf das Serienmedium stürzt nachdem der Film dir nichts mehr bietet! Der Wert einer Spielzeit – unserer Lebenszeit – wird somit maßgeblich von der Dauer, der Spiellänge abhängig gemacht. Quantität ist allerdings nicht gleich Qualität.

Diese Erkenntnis wird mittlerweile aber kaum noch bei der heutigen Spielentwicklung, insbesondere im AAA-Bereich, beachtet. Es kommt nur noch selten vor, dass ein Spiel mit einer gut designten Kampagne daherkommt, die den Spieler mit überraschenden Momenten direkt während des Spielverlaufs konfrontiert und so den Spieler zwingt die Spielmechaniken entweder genau zu beherrschen, oder aber ab einen bestimmten Punkt im Spiel umdenken zu müssen. Die Entwicklung des Spielers selbst im Vordergrund steht, der Spieler selbst im Spiel dazu lernt und nicht bloß die Spielfigur, die durch irgendwelche Upgrades stärker wird. Ich als Spieler, der das Spiel kennenlernt, möchte bis zum Schluss gefordert werden, sodass ich im weiteren Verlaufs des Spiels neue Spielmechaniken auf Basis der bis dato schon gelernten Grundmechaniken, noch immer überraschen können und zum umdenken zwingen. Es ist Teil der Herausforderung ein Spiel auch bedienen zu können – „in den Flow zu kommen“. Das mag manchmal frustrierend sein. Vor allem dann, wenn das Spiel ausschließlich einem Trial & Error-Prinzip folgt. Aber wie schon erwähnt, Scheitern gehört zum Spiel! Es gehört zu dir!

Dein dich (eigentlich) noch immer liebender Verehrer,
Jan

Autor*in

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