Diese Artikelreihe widmet sich jenen Videospiel-Serien, die den Mut aufbrachten altbewährte Mechaniken aufzubrechen, um sich neu zu erfinden. Mal aus der Not heraus, mal aus Innovationslust, aber jedes Mal mit Erfolg. Dieses Mal widmen wir uns dabei dem Rache-Epos rund um verdorbene Götter und tragische (Anti-)Helden aus dem Hause Sony Santa Monica, God of War.
Von Kriegsgöttern und solchen, die es werden wollen
Denkt man an einen berühmten Kriegsgott, kann es sein, dass einem der Name Ares, bekannt aus der alten, griechischen Mythologie, in den Sinn kommt. Einem Videospiel-Enthusiasten könnte aber ebenso wahrscheinlich das grimmige, aschfahle Gesicht eines spartanischen Hünen in den Kopf schießen – von einem roten Mal gezeichnet und zwei Ehrfurcht gebietende Klingen schwingend. Es geht natürlich um den Berufscholeriker des Sony Santa Monica Studios: Kratos.
Unter der Leitung von David Jaffe, entstand im kalifornischen SCE Santa Monica Studio in den frühen 2000er Jahren ein Videospiel, welches den Startschuss für ein bis heute bekanntes und beliebtes Franchise bilden sollte. Mit dem Titel God of War veröffentlichte Sony im Jahr 2005 das Action-Adventure für die hauseigene PlayStation 2 und ließ den Spieler in die Rolle eines rachsüchtigen Kriegers schlüpfen.
Protagonist Kratos wird als spartanischer Heerführer eingeleitet, der machthungrig danach giert, sich einen großen Namen auf den Schlachtfeldern des alten Griechenlands zu erkämpfen. Als er vor einer aussichtslosen Konfrontation steht, geht Kratos einen Handel mit dem Gott des Krieges ein: wir erinnern uns, Ares. Dieser stattet ihn mit den ikonischen Chaosklingen aus, die Kratos zwar zu einem gefürchteten Krieger machen, ihn gleichzeitig aber an den listigen Kriegsgott binden. Kratos entscheidet die Schlacht für sich, stellt aber mit Erschrecken fest, dass sich unter den Opfern seiner Kriegstaten auch seine Frau und Tochter befinden. Durch einen Fluch von Göttin Athene mit der Asche seiner Familie gebrandmarkt, erkennt Kratos sein Werk, sucht die Schuld bei Ares und zieht fortan bekannt als der Geist von Sparta los, um Vergeltung zu üben.
In der Rolle des Bösewichts?
God of War machte schnell deutlich, dass wir nicht in die Haut des klassischen Helden schlüpfen. Vielmehr werden wir als Spieler das Gefühl nicht los, einen Antagonisten zu steuern. Man navigiert Kratos durch imposante Schauplätze und metzelt sich in klassischer Hack’n’Slay-Manier durch Gegnerhorden. Dass seinen Kettenklingen durchaus auch unschuldige Passanten zum Opfer fallen, interessiert den nach Vergeltung trachtenden Fiesling dabei herzlich wenig – Kollateralschaden eben.
Den spielerischen Höhepunkt stellten gewiss die Kämpfe gegen imposante Bossgegner dar.
Von der gewaltigen, mehrköpfigen Hydra, bis hin zu scharfblickenden Medusen bekämpfen wir mächtige Feinde, ehe wir sie mit einer Folge von meist sehr expliziten Gnadenstößen in den Hades schicken. Dass God of War gerade im Hinblick auf Gewaltdarstellung keine Gefangenen macht, bewies es schon mit dem ersten Eintrag, würde in seinen Fortsetzungen aber gewiss noch (viel) höher stapeln.
Auf Götterjagd
Für den Nachfolger zu God of War holte Creative Director David Jaffe die Hilfe von Cory Barlog hinzu, der als Game Director und Lead Designer tätig wurde. Mit God of War II erschien 2007 besagter Nachfolger und erzählte Kratos’ Geschichte weiter, dem sein bisheriger Rachefeldzug – wer hätte es gedacht – noch nicht genug war. So dehnt er seine Vergeltungslust kurzerhand auf Zeus und seine gesamte Göttersippe aus und metzelt sich einmal mehr durch das alte Griechenland, Richtung Olymp. Getreu der Einstellung unseres Anti-Helden, erwarten uns im zweiten Eintrag der Serie größere, spektakulärere und vor allem deutlich mehr Bossgegner, an denen Kratos wieder nach allen Regeln der Kunst seinen Blutdurst stillen kann.
Das Gameplay erfand sich dabei beileibe nicht neu, inszenatorisch wurde aber an allen Schrauben gedreht, um noch nervenaufreibendere Kämpfe zu ermöglichen. Gelegentliche Rätsel lockerten den Spielverlauf etwas auf, der Fokus blieb aber gewiss bei den Kämpfen, für die auch neue Waffen und Magie zur Verfügung gestellt wurden.
Odyssee für Unterwegs
Mit einem frechen Cliffhanger aus God of War II entlassen, dürstete es Fans der Reihe nach einem dritten und abschließenden Teil, der die Geschichte um den blassen Rachegeist beenden sollte. Die Wartezeit ließ sich mit einem kurzen Abstecher auf Sonys Handheld, der PlayStation Portable überbrücken, als mit God of War: Chains of Olympus ein Jahr später Kratos’ Rachefeldzug-To-Go erschien. Inhaltlich ist dieser Ableger vor den beiden Hauptspielen angesiedelt und stellt damit Kratos’ Vorgeschichte dar. Die Entwickler ließen das Spielprinzip dabei unangetastet und übertrugen es kompetent auf die PSP. Ein weiterer – spielerisch ebenso serientreuer – Ausflug auf Sonys Handheld sollte 2010 mit God of War: Ghost of Sparta folgen, in dem wir Kratos’ gleichermaßen bulligen, wie grimmigen Bruder Deimos kennenlernen. Alles schön und gut, aber was die Fans wirklich wollten, war nunmal die Fortsetzung der Hauptgeschichte und eben diese sollten sie noch im Jahr 2010 mit God of War III bekommen.
Größer, spektakulärer, blutrünstiger
Das unter der Leitung von Stig Asmussen entstandene dritte Hauptspiel der Serie nahm sich zur Aufgabe, die Geschichte um Kratos’ Götterjagd zu einem fulminanten Ende bringen. Nicht verwunderlich, dass dafür noch einmal alle Register gezogen werden sollten. Inhaltlich setzt God of War III dort an, wo der Vorgänger abrupt endete. Alle Hindernisse beiseite geräumt, stellt sich Kratos den Bewohnern des Olymp und übt seinen Sadismus im Spielverlauf an einen nach dem anderen Gott (blutig) aus. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Konfrontationen bei der Entwicklung als Herzstück des Spiels behandelt wurden. Die Boss-Begegnungen sind allesamt größer, spektakulärer… aber auch so blutrünstig, wie nie zuvor. Waren die bisherigen Ableger der Reihe schon nicht zimperlich bei der Darstellung von Gewalt, erscheinen sie im Vergleich zu God of War III beinahe familienfreundlich – naja gut, das auch wieder nicht.
God of War III nutzt jede Möglichkeit um das Ausleben von Kratos’ brennender Wut auf Zeus’ Götterfamilie brutal in Szene zu setzen. Nach gewonnenem Kampf über Meeresgott Poseidon etwa, nehmen wir als Spieler dessen Blickpunkt ein, um zunächst übel von Kratos verprügelt und letztlich die Augen in den Hinterkopf gepresst zu bekommen, was über das Drücken der L3- und R3-Tasten erfolgt – einer möglichst großen Immersion wegen. Im Verlauf des Spiels folgen weitere, blutige Abrechnungen, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden muss.
Viele Spieler rechtfertigten diese Tendenz zu harter Gewaltdarstellung als passend für die Geschichte des Spiels. Ebenso gab es aber Stimmen, welche die überbordenden Gewaltexzesse als grenzüberschreitend empfanden. Das tat dem Erfolg von God of War III letztlich aber keinen Abbruch. Sowohl Fans, als auch Kritiker nahmen das vermeintlich letzte Kapitel von Kratos’ Odyssee lobend an.
Langsam, aber sicher kampfmüde?
Eine erfolgreiche Serie wie diese würde aber natürlich nicht einfach begraben werden. Stattdessen suchte man im Hintergrund nach neuen Geschichten, die sich um den spartanischen Götterschreck spinnen ließen. Das Ergebnis dieser Bemühungen erblickte 2013 mit God of War: Ascension das Licht der Welt. Mit Ascension verfolgten die Entwickler dabei nicht die Absicht an God of War III anzuknüpfen, sondern legten die Handlung des Spiels als weiteren Lückenfüller an. Thematisch nach Kratos’ Bruch mit Ares angesiedelt, reagieren die sogenannten Furien, indem sie unseren Protagonisten gefangen nehmen. Selbstredend nimmt er diesen Umstand nicht einfach hin und als Spieler sagen wir den Furien den Kampf an.
Spielmechanisch blieb dabei wieder alles beim Alten. Man wirbelt durch Gegnermassen, absolviert hier und da kleine Geschicklichkeits- und Rätselpassagen und misst sich ein ums andere mal mit robusten Bossgegnern. Dabei wird dann auch das schleichend einsetzende Problem der Reihe deutlich: Innovationsarmut.
Während sich die Ableger allesamt toll spielten und mit inszenatorischem Bombast gewiss nicht geizten, wurde nach sechs Serieneinträgen langsam doch deutlich, dass sich die Formel abnutzte. Fans, wie Kritiker nahmen diese Ermüdungserscheinungen wahr, dennoch reichte es durchweg für solide Wertungen. Nach Ascension wurde es dann aber erstmal eine ganze Weile ruhig um die Marke God of War.
Fans schienen aber doch nicht so kampfmüde zu sein, denn schon bald begannen die Tüfteleien an Theorien: Wie kann es nach dem Ende von God of War III weitergehen? Nimmt sich Titelheld Kratos die nächste Mythologie zur Brust? Treten wir gar in die Fußstapfen eines gänzlich neuen Protagonisten? Offizielle Meldung gab es dann im Jahr 2014, als Cory Barlog vom SCE Santa Monica Studio angab, dass an einem neuen God of War gearbeitet würde, es diesbezüglich aber erst in ein bis zwei Jahren etwas zu sehen gäbe.
Eisiger Neustart
Spulen wir also vor zur E3 2016: Nach mehr oder minder zwei Jahren Funkstille, enthüllte Sony im Rahmen der eigenen Pressekonferenz den Reveal-Trailer zu einem Spiel, welches der nächste Eintrag in der Geschichte von God of War werden würde – und was für eine Enthüllung das war. Anstelle eines kurzen Teasers erhielten sie nämlich gleich einen
9-minütigen Einblick in das Gameplay vom schlicht benannten God of War.
Die Informationsflut war dabei immens und ließ Fan-Herzen höher schlagen.
So verlagerten die Entwickler unter Leitung von Cory Barlog das Setting des Spiels vom alten Griechenland in die eisigen Gefilde des Nordens; Kratos’ Gesicht war von Furchen durchsetzt und mit imposantem Vollbart geschmückt und darüber hinaus schien der Hüne nun in Begleitung eines Jungen, der sich als sein Sohn Atreus herausstellen sollte. Es blieb aber nicht nur bei diesen narrativen Einschnitten, denn die fehlende IV hinter dem Titel hatte natürlich eine weitere Bewandtnis. God of War wurde – zumindest spielmechanisch – als Reboot angelegt, wie man auch schnell im Verlauf des Trailers feststellte.
Wie die Axt im Walde
Im chronologischen Nachfolger zu God of War III – welcher 2018 für Sonys PlayStation 4 erschien – steuern wir Kratos nicht mehr mit Blick aus der Ferne, vielmehr schwebt die Kamera dicht über seiner Schulter. Die wirbelnden Kettenklingen aus alten Tagen in Griechenland tauscht der stille Krieger zudem gegen eine nicht minder magische Axt, welche auf Feinde geschleudert werden kann, um daraufhin in die Hand seines Besitzers zurück zu schnellen. Dies führt gerade während der Konfrontationen mit Feinden zu einem gänzlich anderen und frischen Spielgefühl im Vergleich mit den Vorgängern.
Waren frühere Kämpfe auf das Zerlegen von Gegnermassen und dem damit einhergehenden Machtgefühl ausgelegt, fokussieren sich die Kämpfe in der Neuausrichtung auf Duelle mit einem bis wenige Feinde. Diese Auseinandersetzungen sind dabei häufig auch kein allzu großes Hindernis, erfordern allerdings verhältnismäßig mehr Konzentration und Vorsicht, als noch die Hack’n’Slay-Einlagen die man bisher von der Serie gewohnt war. Kratos’ ständiger Begleiter Atreus kämpft ferner eigenständig mit und kann durch das Zurufen von Befehlen zu bestimmten Kampfhandlungen bewegt werden.
Reife, emotionale Geschichte
Jungspund Atreus spielt in der Handlung von God of War natürlich eine zentrale Rolle. Wir steigen mit der Beerdigung seiner Mutter in das Spiel ein und erkennen schnell die unterkühlte Beziehung zwischen ihm und seinem Vater, Kratos. Zusammen ziehen Vater und Sohn los, um den letzten Wunsch von Frau und Mutter zu erfüllen: ihre Asche vom höchsten Berg des Landes zu verstreuen.
Im Verlauf der Handlung nähern sich die beiden dabei mehr und mehr an und aus der anfänglich anmutenden Zweckgemeinschaft, spinnen sich liebevolle Familienbande. Im direkten Vergleich mit den Vorgängern wird dabei die Tiefe der hier erzählten Geschichte deutlich. Fühlte sich die Narrative der vorigen Spiele streckenweise wie eine pubertäre Machtfantasie an, mutet die Neuausrichtung der Serie deutlich erwachsener und reifer an.
Dass sich diese Umorientierung dabei nie seltsam anfühlt, liegt an dem achtsamen Tempo, mit dem der Spieler an die Handlung und Entwicklung der Charaktere geführt wird.
Kratos verwandelt sich nicht etwa in den herzlichen Familienvater, sondern wahrt auch weiterhin sein grimmiges Wesen. Sein vergangener Zorn scheint aber ebenso erkaltet, wie das neue Setting in dem wir uns bewegen.
Sinnvolle Neuerungen
Ebenfalls Novum für die Serie sind die einfachen RPG-Elemente, nach denen wir etwa Ausrüstungen finden, wechseln und verstärken, um unsere Werte aufzubessern. Diese Ausrüstungsgegenstände werden zudem visuell an Kratos’ und Atreus’ Figurenmodellen angezeigt, sodass unser Protagonist zwar immer noch knapp bekleidet bleibt, aber zumindest nicht mehr nur im Lendenschurz durch die verschneiten Landschaften stapfen muss.
Stichwort ‚verschneite Landschaften‘: Diese sind nicht weniger als umwerfend. Um die detailversessenen Panoramen zu genießen, die dank kreativem Umgebungsdesign häufig unterschwellig zum Storytelling beitrugen, blieb ich nicht selten länger auf der Stelle stehen.
Die Immersion wird zudem erheblich durch die Entscheidung der Entwickler unterstützt, keine Kamera-Einstellungswechsel vorzunehmen, sprich: ohne Schnitte auszukommen. Wir bleiben zu jeder Gelegenheit im Geschehen und nah bei den Protagonisten. Selbst wenn wir eine Schnellreise vornehmen, wird nicht etwa der Spielfluss durch einen Ladebildschirm gestört. Stattdessen treten wir durch eine Tür in eine Art magischen Durchgang, der die Ladezeit kaschiert und uns daraufhin wieder durch eine Tür am Zielort hinaus lässt.
Ohne die Wurzeln zu vergessen
All diese neu gedachten Mechaniken und Elemente greifen unglaublich befriedigend ineinander und ließen mich schnell die Ausrichtung der bisherigen Spiele vergessen. Das soll aber nicht bedeuten, dass die Wurzeln der Serie komplett ignoriert werden, ganz im Gegenteil: Immerzu spürt man die DNA der Reihe, wenn etwa Spielmechaniken aufgegriffen und in neuer Art und Weise interpretiert werden. Auch die Handlung nimmt zwar eine zeitliche, wie räumliche Zäsur vor, greift Kratos’ Vergangenheit aber konsequent auf und verwebt sie in die Narrative rund um die Reise von Vater und Sohn.
So anders sich die Kampfsituationen in God of War im Vergleich zu den Vorgängern anfühlen, so vertraut kommen einem die brachial inszenierten Bossbegegnungen vor. An großen Feinden – welche nun an fantastische Gestalten aus der nordischen Mythologie angelehnt sind – wird nicht gegeizt. Gerade diese Auseinandersetzungen sind elektrisierend in Szene gesetzt und scheuen sich abermals nicht davor mit groben Gnadenstößen beendet zu werden. Der Gewaltgrad ist dabei vertraut, erreicht aber selten die grenzwertigen Höhen vergangener Ableger.
Rosige Zukunft
God of War fühlt sich spielerisch, wie narrativ wahnsinnig gut durchdacht an. Immerzu kam mir während der tollen Spielerfahrung das Sinnbild vor Augen, dass sich God of War nun so anfühlt, als sei es erwachsen geworden. Es stellt meiner Ansicht nach die konsequente Weiterentwicklung der Marke dar, die ich nur von Herzen loben kann.
Was wünsche ich mir für die geplante Fortsetzung? Spielmechanisch bin ich wunschlos glücklich und froh um jede sinnvolle Neuerung oder Erweiterung. Nach den eindringlichen, wie zahlreichen Enthüllungen in den finalen Stunden der Handlung, ist meine Spannung bezüglich ihrer Fortführung natürlich groß. Daher erhoffe ich mir für den Nachfolger lediglich eine Weiterführung der Handlung, die ebenso emotional und reif inszeniert ist, wie jene in God of War. Und da habe ich vollstes Vertrauen in Cory Barlog und sein Team.