Nach der Nominierung von Dave the Diver, für die Kategorie “Best Indie Game”, herrscht eine Grundsatzdebatte über den Begriff eines “Indie Games”. Worum es ging, haben wir bereits aufgearbeitet. Die Nominierung eines Titels, hinter dem der größte südkoreanische Gaming-Publisher steht, ist für diese Kategorie problematisch bis skandalös. Geoff Keighley verteidigte die Nominierung damit, dass der Begriff “Indie” sehr weit gefasst sei. Für ihn sei es Auslegungssache, da der Begriff so vielfältig sei und mehrere Definitionen zulasse. Drum drängt sich mir die Frage auf: Was ist denn jetzt eigentlich ein Indie Game?
Nominierung von Dave the Diver tritt Debatte los
Es geht um mehr, als eine reine Nominierung. Es ist eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Frage, was ein Indie Spiel eigentlich ist. Denn nicht nur ist dies entscheidend für zukünftige Nominierungen, sondern auch für die Branche selbst. Schließlich grenzen sich Indie Games auch in Form von Strukturen und finanzieller Förderungen ab und bilden einen eigenen Kosmos. Doch wie sieht der aus? Immerhin gab es nach der Nominierung von Dave the Diver hier eine große öffentliche Debatte. Denn das nach „Indie-aussehende“ Spiel hat mit Nexon den größten südkoreanischen Publisher im Nacken. Ist das noch Indie? Geoff Keighley scheint sich nicht festlegen zu wollen. Er stellt die Definierbarkeit per se in Frage und sagt, dass es “schwierig sei”. Natürlich, ohne sich feszulegen. Das ist zu wenig, insbesondere, wenn man eine Kategorie für eine Preisverleihung aufstellt. Denn jede Kategorie muss einer klaren Definition folgen.
Wenn es plötzlich keine Rolle mehr spielt, ob große Publisher hinter einem Spiel hängen oder nicht, kann ich das Ganze kaum mehr ernst nehmen. Schlimmer noch – Es ist ein Schlag ins Gesicht für jene, die man eher als “Indie” bezeichnen würde. Doch dröseln wir das mal genauer auf. Wie definiert man das genau? Grundsätzlich steht der Begriff für die Unabhängigkeit von Geldgebern, sprich Publishern. Bietet ein Publisher Geld & Publishing, fordert dadurch kreative Rechte, entsteht eine Abhängigkeit. Ist eine digitale Distribution nur möglich, in dem man einen Publisher hinzuzieht, der Anteile durch eine Dienstleistung verlangt, entsteht eine Abhängigkeit. Abhängigkeiten entstehen jedoch ständig und überall. Doch welche sind vertretbar für den Begriff?
Abhängigkeiten vs. Independent
Grundsätzlich stehen aber die beiden genannten Abhängigkeiten im Raum, durch die sich der Begriff noch am Ehesten definiert. Im Falle finanzieller Unabhängigkeit, muss ein Studio nämlich die Entwicklung selbst finanziert haben, aber auch in Form von Spenden und Crowd-Funding-Kampagnen. Sobald ein Publisher die Entwicklung finanziert, entsteht eine Abhängigkeit, die man sicherlich als fundamental und essenziell für die Ermöglichung der Entwicklung bezeichnen kann. Man spricht gerne von großen Publishern. Im Kopf hat man da natürlich EA, Activision Blizzard, SEGA, Ubisoft, Take Two oder THQ Nordic. Aber auch wenn weniger bekannte Publisher die Entwicklung im Wesentlichen finanziell tragen, entsteht eine absolut gleiche Abhängigkeit. Da sind wir wahrscheinlich an einem Punkt, wo ein Spiel trotzdem gerne noch als “Indie” bezeichnet wird. Denn nicht selten stehen hinter kleinen Produktionen auch weniger große Publisher. Doch da muss differenziert werden: Haben sie die Entwicklung finanziell ermöglicht? Übernehmen sie evtl. nur das Marketing? Übernehmen sie nur die physikalische Distribution?
Natürlich entstehen auch in solchen Fällen Abhängigkeiten, aber es sind keine, die die Entwicklung eines Spiels in irgendeiner Form beeinflusst haben, sondern den Vertrieb. Sofern man also Entwicklung und Vertrieb trennt, lässt sich die “Indie”-Definition hier sehr leicht bestimmen. Doch worauf einigt man sich? Kompletter Verzicht auf einen Publisher oder lediglich Verzicht in Bezug auf den Entwicklungsprozess? Es gibt keine definitive Einigung. In dem Punkt hatte Keighley also Recht. Doch es ändert nichts, das beide Ausrichtungsweisen eine Nominierung von Dave the Diver dennoch verhindert hätten. Denn beide Auslegungen sehen keinen Publisher vor, der von Anfang an als Geldgeber fungiert und die Entwicklung finanziert. Ja, es gibt also eine erste Unklarheit. Doch sie ist nicht so verwaschen, wie Keighley hier tut. Seine Argumentation kommt in dem Fall also deutlich zu kurz und wirkt wie der Versuch einer Ausrede.
Daneben steht noch der zweite Punkt, nämlich die kreative Unabhängigkeit. Die beiden Punkte neigen dazu zu verschmelzen. Kreative Abhängigkeit leidet meist unter dem Einfluss eines Publishers, der mit finanziellen Mitteln lockt. Darunter kann kreative Freiheit leiden, also auch vertriebliche. Denn ich glaube kaum, dass Entwickler*innen exzessive Mikrotransaktionen, Loot Boxen und Battle Passes tief in ihrem Innern lieben. Doch es sind (leider) oft lukrative Monetarisierungsmöglichkeiten, über die sich viele Publisher freuen. Wenn ein Publisher aktiv in den Entwicklungsprozess eingreifen kann, kann kaum von einer Indie-Produktion die Rede sein. Aber, wiegesagt, die beiden Punkte verschwimmen, denn wie fast immer im Leben geht es meist ums Geld.
Wie groß darf ein Indie-Studio sein?
Doch da hört die Debatte noch längst nicht auf. Denn Teil der Diskussion ist auch die Größe des Studios. Ist Larian Studios, die hinter Baldur’s Gate 3 stehen, auch ein Indie Studio? Oder sogar IO Interactive, nachdem man sich von Square Enix getrennt hat? Ist die Größe eines Studios ein Indikator? Ab wann ist ein Studio groß? Ab 30, 40, 50 oder 100 Leuten? Eine klare Definition gibt es nicht und es lässt sich sicher darüber streiten. Jedoch muss man anmerken, so richtig Indie sind die genannten Beispiele nicht. IO Interactive hatte eben zuvor Square Enix über sich. Im Falle von Hitman 3 gab es zudem eine Zusammenarbeit mit Warner. Für das kommende 007-Projekt sind MGM und Eon Productions als Lizenzgeber involviert. Also nicht wirkich indiependent. Larian Studios hingegen gehören zu 30% Tencent, einem der 20 größten Unternehmen der Welt nach Marktkapitalisierung (Companies ranked by Market Cap – CompaniesMarketCap.com)
Also auch nicht richtig Indie. Doch einen Fall gibt es tatsächlich. Rebellion ist mit fast 500 Beschäftigen ein großes Studio, jedoch auch eines , welches vollkommen unabhängig agiert. Große großen Sponsoren, keine fremden Shareholder. Insofern ja, wir haben hier tatsächlich ein Indie Studio. Auch unabhängig der Größe muss man anerkennen, dass das Studio unabhängig anderer Parteien seine Spiele entwickelt. Will man es deswegen den Indie-Status absprechen, weil es mehr Leute beherbergt? Zumindest müssen wir dabei gegenüberstellen, dass ein Studio ab einer gewissen Größe auch selbst irgendwann zu einem Publisher-ähnlichen Konstrukt wachsen kann. Die grundsätzliche Debatte ist angebracht, sollte aber auch nicht überbewertet werden. Zumal beachtet werden muss, dass es sich hier um absolute Ausnahmen handelt. Solange sich die Strukturen nicht ändern, werden solch große Indies eine absolute Seltenheit bleiben.
Muss ein Indie Game nach „Indie“ aussehen?
Doch wir sind auch da noch nicht am Ende angelangt. Es gibt noch die ästhetische, bzw. kulturell geprägte Ausrichtung. Als Indie Games werden ja auch gut und gerne Spiele bezeichnet, die sich stilistisch von großen Produktionen unterscheiden, vielleicht auch mal experimenteller sind und/ oder sich kulturell weniger beachteten Themen im Gaming-Kosmos widmen. Aber ist diese Einordnung haltbar? Mehrheitlich ist das sicherlich so. Doch wir sehen, dass auch das Umfeld so mancher Produktionen im AAA –und AA Bereich mutiger ist. Wir haben einige prominente Beispiele. In diesem Jahr erschien beispielsweise das großartige HiFi-Rush. Sieht aus und präsentiert sich schon eher wie ein Indie Game. Es hat einen sehr ungewöhnlichen Grafikstil und gibt sich durchaus kreativ in seiner spielerischen Ausrichtung. Doch dahinter steckt eine Einheit von Tango Gameworks, die zu Bethesda gehören, die wiederum zu Microsoft gehören. Somit kein Indie. Ebenso wenig wie die Ori Games, die durch einen malerischen Art Style begeistern, der bei großen Publishern so kaum zu finden ist. Doch auch hier steckt die Xbox Brand hinter.
Genauso wie bei As Dusk Falls, wo jeder Frame handgemalt ist und einzigartig aussieht. Oder man denke an Pentiment, welches mit seinen mittelalterlichen Illustrationen und seinem eher kleinem scope eher an ein Indie Game erinnern lässt. Doch es entstammt einer kleinen Gruppe von Obsidian. Auch kulturell entstand beispielsweise Tell me why, ein Spiel welches sich mit Identität beschäftigt und offen mit Transsexualität umgeht, in Kooperation mit Xbox. Auch wenn Dontnod per se ja ein Indie Studio ist. Alle genannten Spiele stehen unter dem Xbox-Schirm, bieten aber ästhetischene und kulturelle Diversität, die man eher bei Indies vermuten würde. Auch Helldivers von Sony hat eher scope und Look eines Indie Games, genauso wie etwa ein Tearaway. Und selbst bei EA und Ubisoft finden sich solche Beispiele, wie man etwa an It Takes Two, Unravel, Fe, Sea of Solitude, Valiant Hearts und Grow Up.
Das zeigt uns doch, wie viel Diversität das Medium “Videospiel” mittlerweile in Gänze zu bieten hat. Natürlich sehen wir im Indie-Bereich tendenziell mehr Mut, mehr Kreativität. Doch es ist kein Alleinstellungsmerkmal.
Wirklich so schwierig, Geoff?
Wir sehen also, dass der Begriff “Indie Game” durchaus in vielerlei Hinsicht sehr facettenreich ist und dass insbesondere Ästhetik, Kultur und Studiogröße eines Spiels ein Diskussionspunkt sein können in der Debatte. So weit würde ich bei Geoff Keighley und seiner Problemstellung also noch mitgehen. Was jedoch unstrittig ist, dass es klare Abgrenzungen in Bezug auf finanzielle und kreative Abhängigkeiten gibt. Es wird sicherlich in der Gesamthistorie der Videospiele das ein oder andere Beispiel geben, in dem sich auch hier unklare Grenzen auftun. Doch in den meisten Fällen ist die Unterscheidung klar, ebenso wie bei Dave the Diver. Anders, als es Keighley behauptet, ist die Kategorisierung hier sogar relativ einfach. Wenn Gelder zur Ermöglichung eines Spiels fließen und/ oder kreativer Einfluss durch diese finanzielle Abhängigkeit eingeschränkt wird, dann ist es schlichtweg nicht mehr independent. Ich würde mir hier nur mehr Einsicht wünschen, wenn ein so offensichtlicher Fehler, unabhängig subjektiver Einflüsse geschehen ist.
Doch ein reines Fingerpointing auf den Host der Show wäre zu kurz. Immerhin stellt er nicht die Nominierten zusammen, sehr wohl muss er aber den Rahmen einer Kategorie festlegen. Kritik gebührt auch jenen, die direkt für die Nominierungen zuständig waren. Immerhin rühmt man sich, dass über 100 Media und Influencer Outlets daran beteiligt waren. Mit solch einer großen Verantwortung, sollten doch die Spiele, die man in den Ring schickt, eben gecheckt werden, ob sie überhaupt da rein gehören. Die Menge an fundamentalen Fehlern in der Auswahl hatten wir ja bereits zusammengestellt. Doch für das nächste Mal muss sich die Show hinterfragen. Über Geschmack lässt sich ja streiten, aber nicht über sowas. Denn das ist nur ein weiterer Nackenschlag für den Award-Charakter des Events, welcher ohnehin mehr und mehr an Bedeutung verliert, zugunsten der nächsten „World Premiere“.