Das gehört in ein Museum! Das Entwicklerstudio MachineGames ist zurück und wagt sich erstmals in seiner Geschichte von der Wolfenstein-Serie weg. Der Kunst den Nazis eine aufs Fressbrett zu geben, bleiben sie mit Indiana Jones und der Große Kreis jedoch treu. Warum dem schwedischen Studio hier eine hollywoodreife Glanzleistung gelungen ist und weshalb Indiana Jones und der Große Kreis das beste Xbox-Spiel der letzten zehn Jahre ist, erfahrt ihr in unserem Test.
Der größte Archäologe der Geschichte
Das Abenteuer von Indiana Jones und der Große Kreis beginnt im Jahr 1937, ein Jahr nach den Ereignissen von Jäger des verlorenen Schatzes. Eines Nachts wird Indy unsanft von einem lauten Geräusch geweckt. Im Marshall College, wo er als Dozent tätig ist, stößt er in der ägyptischen Abteilung auf einen mysteriösen Einbrecher. Doch bevor er handeln kann, wird er außer Gefecht gesetzt. Als er wieder zu sich kommt, scheint zunächst alles an seinem Platz zu sein – bis auf ein bestimmtes Exponat. Von Neugier und Misstrauen getrieben, macht sich Indy auf die Suche nach Antworten, ohne zu ahnen, dass ihn diese Mission an die entlegensten Orte der Welt und in das bisher größte Abenteuer seiner Laufbahn führen wird.
Noch eine kurze Anmerkung vorab: Indiana Jones und der Große Kreis ist ein First-Person-Spiel, das nur für Zwischensequenzen und vereinzelt für bestimmte Momente in die Third-Person-Perspektive wechselt. Was mich anfangs bei der Ankündigung des Spiels gestört hat, konnte ich jedoch schnell überwinden. Zunächst hatte ich die Befürchtung, dass ich mich weniger gut mit Indy identifizieren könnte, doch diese Sorge erwies sich als unbegründet, wie ich gleich näher erklären werde. Für Spieler*innen, die bei First-Person-Spielen zu Motion Sickness neigen, könnte dies allerdings ein echter Dealbreaker sein.
Das Abenteuer ruft!
Indys Abenteuer in Der Große Kreis entführt die Spieler*innen in mehrere mittelgroße und offene Areale, die voller Geheimnisse und Entdeckungen stecken. Das Spiel startet im von Faschisten besetzten Vatikan, wo Indy unauffällig ermitteln muss. Um Konflikte zu vermeiden, schlüpft er in die Rolle eines Paters und bewegt sich so vorsichtig durch das Herzstück der katholischen Kirche. Und hier zeigt sich bereits eine der Kernmechaniken des Spiels: das Schleichen. Statt mit der Peitsche und Revolverschüssen voranzupreschen, belohnt das Spiel leise und durchdachte Vorgehensweisen. Zwar ist der direkte Kampf immer eine Option, doch sobald sich 20 Nazis mit Maschinengewehren auf einen stürzen, ist der Bildschirmtod oft nicht weit.
Das Schöne am Schleichen: Wie in der Hitman-Serie haben die Spieler*innen stets die Wahl, wie sie eine Situation angehen möchten. Überall gibt es Waffen oder zumindest Gegenstände zu finden, die sich als solche zweckentfremden lassen. Ob Knüppel, Schaufel, Gitarre oder bloße Fäuste – nahezu alles, was Indy in die Finger bekommt, lässt sich nutzen, um Gegner außer Gefecht zu setzen. Diese Freiheit sorgt für abwechslungsreiche und unvorhersehbare Momente, die jeden Versuch einzigartig machen und Kreativität in der Herangehensweise wird durchgängig belohnt.
Sollte man dennoch entdeckt werden, bleibt oft noch eine Chance, die Situation zu retten. Mit seiner Peitsche kann Indy Gegnern die Waffe aus der Hand reißen oder sie mit einem gezielten Schlag ausschalten. Doch wenn ein Feind Alarm schlägt, wird die Lage brenzlig. In solchen Momenten gibt es zwei Optionen: Entweder man schlägt sich tapfer durch oder versucht zu fliehen. Bei Letzterem zeigt das Spiel deutliche Schwächen: Denn erneut unterzutauchen ist schwierig, da die Gegner-KI inkonsequent arbeitet. Während Gegner Indy vor der Entdeckung selbst auf kurzer Distanz noch ignorieren, erkennen sie ihn nach der Entdeckung aus unrealistisch großer Entfernung – und das sogar teils durch Wände. Diese KI-Aussetzer können frustrierend sein, besonders da eine Alarmierung oft den sicheren Tod bedeutet.
Darf’s ein wenig Action sein?
Trotzdem glänzt das Spiel auch bei offener Konfrontation. Das Kampfsystem lässt Indy mit Peitsche und Fäusten auf seine Gegner losgehen und die knalligen, ikonischen Sounds, wenn ein Schlag trifft, sorgen für ein enorm befriedigendes Feedback. Das Boxen fühlt sich durch das präzise Ausweich- und Blocksystem flüssig und belohnend an, während Indys Revolver als Notlösung dient. Die Schusswaffe macht Feinde zwar schnell unschädlich, doch Munition ist extrem rar. Tatsächlich habe ich im gesamten Spiel nur etwa 20 Schüsse abgegeben, da alle anderen Kampftechniken so gut funktionieren, dass der Revolver kaum nötig war.
Erwartet mit Der Große Kreis also keinen Shooter. Stattdessen setzt das Spiel auf authentische Mechaniken, die perfekt zu Indiana Jones passen. Der Fokus auf taktisches Schleichen, dynamisches Improvisieren und klassische Faustkämpfe fängt den Geist der Filme perfekt ein und bietet ein erfrischendes Spielerlebnis, das die Essenz der Figur auf den Punkt bringt.
Einmal Ägypten – all inclusive
Neben dem Schleichen und Kämpfen ist die Erkundung ein zentrales Element. Der Große Kreis lädt dazu ein, jeden Winkel der Areale zu durchforsten und belohnt neugierige Spieler*innen reichlich. Überall finden sich Notizen, Collectibles oder Upgrades, die die Fähigkeiten von Indy verbessern und die Geschichte der Welt weiter auserzählen. Und selbst wenn man nicht nach Belohnungen sucht, lohnt sich das Umherstreifen allein wegen der beeindruckenden Schauplätze. Wer die Sixtinische Kapelle betritt, wird ehrfürchtig die detailgetreu dargestellten Werke Michelangelos bestaunen und beim Anblick der Cheops-Pyramide in Gizeh bleibt einem nicht nur wegen der Wüstenhitze die Spucke weg. Der virtuelle Tourismus ist hier mehr als nur Kulisse – er wird zum Erlebnis, das die Faszination für ferne Orte und vergangene Epochen belohnt. Wer nur ein bisschen Interesse für Geschichte, verschiedene Kulturen oder Architektur hat, sollte Indiana Jones und der Große Kreis alleine schon aus diesem Grund spielen.
Einzig das Vorankommen kann manchmal nervig sein. Denn oft werden Spieler*innen durch Nebenmissionen immer wieder von A nach B gescheucht. Da Indy fast ausschließlich zu Fuß unterwegs ist, verbringt man einen nicht unerheblichen Teil der Spielzeit damit, unter begrenzter Ausdauer durch die Welt zu sprinten. Zwar gibt es ein Fast-Travel-System, doch ist dieses lokal eingeschränkt und sehr unübersichtlich, weshalb es beim Spielen nur selten hilfreich war. Ein richtiges Fast-Travel-System über die gesamte Spielkarte wäre hier eine deutliche Verbesserung gewesen.
Die Mischung macht’s!
Die dritte zentrale Komponente des Spiels ist das Rätseln. Denn wie auch in den Filmen führt Indys Abenteuer durch uralte Tempel und verfallene Ruinen, die vor tödlichen Fallen und anspruchsvollen Denksportaufgaben nur so strotzen. Die Rätsel in den Hauptmissionen sind gut zugänglich und lassen sich meist schnell lösen, ohne dabei an Einfallsreichtum zu verlieren. Doch die optionalen Rätsel verlangen mehr von einem ab: Spieler*innen müssen Geduld und Köpfchen beweisen und die Denkspiele können durchaus einige Minuten in Anspruch nehmen, bis die richtige Lösung gefunden ist. Dabei kommt es oft auf präzises Beobachten und geschicktes Kombinieren an, was den Geist von Indiana Jones erneut hervorragend widerspiegelt. Der Moment, wenn sich schließlich eine versteckte Tür öffnet oder ein Mechanismus in Bewegung gesetzt wird, ist jedes Mal aufs Neue belohnend.
Durch die gelungene Mischung aus Schleichen, Erkundung und Rätseln fühlt sich Der Große Kreis wie ein interaktiver Indiana-Jones-Film an – eine fesselnde Reise voller Geheimnisse, Herausforderungen und beeindruckender Schauplätze. Jedes neue Rätsel, jede unerforschte Ecke und jedes unerwartete Abenteuer vertieft den Mythos der Reihe und lässt die Spieler*innen noch tiefer in Indys Welt eintauchen. Der Abenteuergeist der Serie wird gekonnt zelebriert und in einer spannenden Erzählung umgesetzt. Doch damit nicht genug – das Spiel trumpft immer wieder mit eindrucksvollen und filmreifen Actionsequenzen auf. Ob beim Sprung von einem fliegenden Flugzeug auf das nächste oder bei einer intensiven Bootsverfolgungsjagd unter Schusswechsel – solche Momente erinnern stark an die Uncharted-Reihe und setzen Maßstäbe im AAA-Gaming-Bereich.
Ein spielbarer Blockbuster
Indiana Jones und der Große Kreis gehört in der Präsentation zu den beeindruckendsten Spielen, die ich je gesehen habe. Visuell ist es von vorne bis hinten eine glatte 1. Das Spiel strotzt nur so vor Details und die exzellente Lichtsetzung durch Ray-Traced Global Illumination rundet das Gesamtbild perfekt ab. Auch technisch bietet das Spiel eine rundum solide Leistung, wies jedoch gegen Ende einige kleinere Bugs auf, die möglicherweise bereits mit dem Day-One-Patch behoben wurden.
Ich konnte das Spiel auf meiner RTX 4080 in den höchsten Details (ohne Path Tracing) in nativer UHD-Auflösung spielen und dabei stets mehr als 60 fps erreichen – ohne jegliche Ruckler oder Performance-Einbrüche. Auch die Charakteranimationen sind beeindruckend und auf dem neuesten Stand der Technik. In der Wüste sieht man zum Beispiel den Schweiß von den Gesichtern der Charaktere laufen und auch so sind alle Emotionen perfekt erkennbar und authentisch.
Die Synchronisation, sowohl in der deutschen als auch in der englischen Version, gehört zu den besten, die ich je gehört habe. Troy Baker liefert als Indiana Jones eine großartige Performance, aber auch die deutsche Fassung überzeugt mit einer gelungenen Darstellung des sturen Charakters. Die Kameraarbeit in den Cutscenes ist hervorragend, allerdings gibt es hier hin und wieder sichtbare Ruckler in den Bewegungen. MachineGames hat jedoch bereits mit dem Day-One-Patch Besserung angekündigt. Das Sounddesign ist – wenig überraschend – ebenfalls erstklassig. Schläge und Peitschenhiebe klingen ikonisch und die Waffensounds sind so authentisch, dass sie fast wie aus einem klassischen 80er-Actionfilm klingen. Die Liebe zum Detail ist beeindruckend. Wie bereits mehrfach in diesem Test erwähnt, wird der Geist der Reihe hier nahezu eins zu eins eingefangen. Indy ist wirklich Indy, sein Sidekick Gina gehört zu den sympathischsten Begleitern in der Videospielgeschichte und der Antagonist Emmerich Voss ist ein Vorzeige-Filmbösewicht. Und wie auch in den Filmen macht es jedes Mal wieder Spaß, den Nazis eins auf die Mütze zu geben. Indiana Jones und der Große Kreis ist schlichtweg ein spielbarer Indy-Film – und vielleicht sogar der beste der gesamten Reihe.
Indy ist zurück!
Abschließend lässt sich sagen, dass ich während meiner 20-stündigen Reise durch die Welt von Indiana Jones und der Große Kreis vor allem einen Gedanken immer wieder hatte: „Bitte lass es nicht enden.“ Das Spiel macht so unglaublich viel richtig und hebt sich in vielerlei Hinsicht von anderen AAA-Titeln ab, dass ich jede einzelne Minute mit Begeisterung erlebt habe. Zunächst hatte ich mit einem halbwegs linearen, aber unterhaltsamen Actionspiel und einigen wenigen Rätseln gerechnet. Doch was wir bekommen haben, ist die fast perfekte Umsetzung eines Franchises, das geschickt verschiedene Genres miteinander kombiniert und die Stärke der Filme nahezu makellos in Gameplay-Elemente überträgt.
So viel Spaß hatte ich lange nicht mehr mit einer Lizenzumsetzung. Indiana Jones und der Große Kreis stellt für mich den bisher größten Gewinn aus Microsofts Einkaufstour dar. MachineGames hat der Plattform mit diesem Spiel ein echtes Highlight beschert – eines, das der Xbox-Welt mindestens seit einer Dekade gefehlt hat. Trotz einiger kleinerer Kritikpunkte ist Indiana Jones und der Große Kreis eine fast schon perfekte Umsetzung eines Kult-Franchises. Ich kann es bedenkenlos allen Indiana Jones-Fans, Liebhabern spannender Abenteuer, Rätsel-Enthusiasten und eigentlich allen empfehlen, die gerne in packende Geschichten eintauchen und das Gefühl von Entdeckung und Erkundung lieben. Indiana Jones und der Große Kreis ist schlichtweg ein Meisterwerk auf Anhieb und man kann nur hoffen, dass wir schnell eine Fortsetzung bekommen.
Artikelbilder: ©Bethesda Softworks/MachineGames/Lucasfilm