Das Actionspiel NieR: Automata schlug 2017 fast schon ein wie eine Bombe und landete gerade aufgrund seines spannenden Genre-Mixes in nicht wenigen Top-Listen auf den Spitzenpositionen. Was viele SpielerInnen jedoch nicht wissen: Automata ist in der Tat nicht das erste Spiel seiner Art, sondern vielmehr die Fortsetzung eines Jahre zuvor veröffentlichten Geheimtipps. In einer kleinen Nische versteckt sich nämlich ein weiteres Spiel hinter dem unscheinbaren Titel NieR Replicant. Und obwohl Replicant gerade in westlichen Gefilden nur wenig Beachtung fand, gilt der Actiontitel in einer kleinen, eingeschworenen Spielerschaft noch immer als Klassiker seiner Zeit. Das hat wohl auch Publisher Square Enix erkannt und den Erstling nun für aktuelle Plattformen neu aufgelegt. Ob das Remake mit dem erfolgreichen Sequel NieR: Automata mithalten kann und ob das Konzept um das gut elf Jahre alte JRPG heute noch taugt, klären wir in unserem Test.
Mehr als nur einfaches JRPG-Drama
Das Remake mit dem ungelenken Namen NieR Replicant ver.1.22474487139… ist eine direkte Neuauflage des vor gut elf Jahren erschienenen PlayStation-3-Spiels, unterscheidet sich jedoch in einigen grundlegenden Aspekten von dem Nier, dass damals in Europa und Amerika veröffentlicht wurde. Um das zu verstehen, müssen wir zunächst ein Stück weit zurück in die Zeit – genauer ins Jahr 2011. NieR-Mastermind Yoko Taro veröffentlichte sein neustes Videospielprojekt in Japan in gleich zwei Varianten: NieR Replicant für die PlayStation 3 und NieR Gestalt für die Xbox 360. Inhaltlich waren beide Versionen nahezu identisch, jedoch mit einer entscheidenden Ausnahme: In Replicant schlüpft der Spieler in die Rolle eines jungen Protagonisten mit Schwester, während er in Gestalt die Kontrolle über einen bereits erwachsenen Vater übernimmt. Spielerische Unterschiede ergaben sich daraus zwar keine, dennoch wurde für den europäischen sowie amerikanischen Markt seiner Zeit lediglich Gestalt adaptiert und auf allen gängigen Plattformen veröffentlicht. Und um das Chaos perfekt zu machen, soll jetzt – gut elf Jahre später – für die Neuauflage weltweit NieR: Replicant herhalten. Gestalt findet also keinerlei Berücksichtigung mehr. Damit bekommt die westliche Welt zwar ein vollwertiges Remake spendiert, dieses unterscheidet sich dann aber doch merkbar von unserem Original.
In Replicant ver.1.22474487139 tauchen wir nun also in die postapokalyptische Welt des jungen Kriegers Nier ein. Im Jahr 3461 ist die Menschheit auf den technologischen Stand des Mittelalters zurückgefallen. Nur wenige Überlebende haben sich in kleinen Siedlungen zusammengerafft und kämpfen tagein tagaus für ihr Fortbestehen. Denn die Menschheit wird nicht nur von mysteriösen Schattenwesen bedroht, auch sieht sie sich mit der tödlichen Runenpest konfrontiert, die jeden Erkrankten erbarmungslos dahinrafft. Auch Niers jüngere Schwester Yonah ist an eben jener Seuche erkrankt und droht dahinzuscheiden, sollte ihr Bruder nicht alsbald ein Heilmittel finden. So begibt sich unser junger Protagonist auf die verzweifelte Suche nach einer Lösung und trifft dabei auf spezielle Wegbegleiter wie beispielsweise das sprechende Magiebuch Grimoire Weiss, das ihm nicht nur mit Rat und Tat zur Seite steht, sondern auch magische Kräfte verleiht. Was auf den ersten Blick vielleicht wie ein klischeebehaftetes Bruder-Schwester-Drama anmutet, entwickelt sich schon im Prolog zu einem der wohl größten Stärken des Spiels.
NieR Replicant erzählt über die komplette Spielzeit eine emotionale und mitreißende Geschichte, die überraschende Wendungen sowie jede Menge spannender Facetten bereithält. Dabei lässt es sich das Remake nicht nehmen, philosophische Fragen aufzuwerfen oder unangenehme Wahrheiten anzusprechen, die uns nachhaltig und auch über die aktive Spielzeit hinaus beschäftigten. Trotz der stellenweise mauen Inszenierung, die mitunter nur über statische Dialogboxen funktioniert, gelingt es Yoko Taro eine bedrückende und zugleich einzigartige Atmosphäre zu erschaffen. Die gut geschriebenen Dialoge sowie die vollständige Vertonung hauchen dem Geschehen zumindest wieder ein Stück weit Leben ein, während man mit Begleitern wie Kainé oder Emil einige erinnerungswürdige Charaktere kreiert. Nicht zuletzt der hervorragende Soundtrack von Keiichi Okabe, transportiert die Stimmung fast in perfektem Maße, wenngleich sich die Musikstücke hier und da auch etwas zu häufig wiederholen. Replicant überzeugt insgesamt durch seine subtile Erzählkunst, bei der alles durchdacht scheint, Sinn ergibt und uns nach mehr lechzen lässt. So spannend die Lore und das melancholische Zukunftsseittung aber auch daherkommen mögen, der Weg zum nächsten Storyhappen kann bisweilen mühselig sein…
Kuriositäten Kabinett
NieR Replicant setzt ebenso wie sein Sequel NieR: Automata auf einen einzigartigen Genremix: Von Bullet-Hell- und Twinstick-Shooter-Passagen über Plattforming-Sequenzen bis hin zu actiongeladenen JRPG-Kämpfen springt der Actiontitel gekonnt zwischen verschiedenen Spielelementen hin und her. Selbst eine Resident-Evil-Hommage mitsamt Herrenhaus-Level oder ein Mini-Text-Adventure finden im kuriosen Genre-Wirrwarr ihren geeigneten Platz. Zwar sind die einzelnen Elemente an und für sich bei weitem nicht so ausgereift wie ihre großen Vorbilder, das Gesamtpaket ist aber ein durchaus abwechslungsreicher und spaßiger Mix. Passend dazu macht NieR Replicant auch vor häufigen Perspektivwechseln nicht halt: Mal prügelt ihr euch in isometrischer Perspektive durch allerlei Gewölbe, mal puzzelt ihr euch in einer Top-Down-Ansicht durch simple Schieberätsel und ein anderes Mal navigiert ihr durch eine kunstvolle 2,5D-Seitenansicht. Zusammengehalten werden all diese Gameplay-Flicken von einer halboffenen Anime-Spielwelt, die weitläufige Areale mit linearen Wegen kombiniert. Die verschiedenen Themenwelten sind durchaus schön und abwechslungsreich gestaltet, wirklich etwas zu entdecken gibt es allerdings nicht. Häufig genug steht ihr vor leeren und unbelebten Umgebungen, die meist auch noch durch matschige Texturen auffallen.
Gefangen im ewigen Backtracking
Trotz der überraschend abwechslungsreichen Mischung aus Gameplay-Elementen stellt sich spielerisch immer wieder Ernüchterung ein. Abseits der uninspirierten Nebenaufgaben bedient sich leider auch die Hauptstory vermehrt an starren Fetch-Quests. Das Pacing leidet ohnehin schon unter unnötig langen Laufwegen: Wenn ihr beispielsweise ein ums andere Mal von A nach B reist, nur um kurze Zeit später wieder zurück zum Ausgangspunkt A zu gelangen und dort einen Auftrag für B anzunehmen, dann ist das schlicht ermüdend!
Erfrischenderweise ist das Spiel sich dieser Schwäche aber durchaus bewusst und kommentiert solche spielerischen Durststrecken zuweilen mit spaßigen Seitenhieben. Einmal macht sich Nier beispielsweise über fehlende Quick-Travel-Optionen lustig, ein anderes Mal ärgert er sich über belanglose Nebentätigkeiten. All dieser Witz und Metahumor machen das eintönige Quest-Design aber leider nur bedingt erträglich.
Unterwegs warten natürlich unzählige Kloppereien mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Gegnern auf euch. Nier kann dazu nicht nur auf Schwerter für den Nahkampf zurückgreifen, sondern hat auch ein ausgereiftes Repertoire an Magieattacken, darunter Fernkampfangriffe wie aufladbare Schüsse oder schwere Bolzen. Die Kämpfe spielen sich derweil flott und dynamisch – die Einflüsse von NieR: Automata und Entwickler Platinum Games tun dem elf Jahre alten Kampfsystem merklich gut. Anders als im Original ist die Steuerung zudem nun deutlich präziser und direkter, nur die träge Kamera sowie der häufigen Perspektivwechsel gestalten das Kampfgeschehen manchmal etwas unübersichtlich.
Dem Original treu
Das originale NieR war schon seiner Zeit kein technisches Meisterwerk. Das zusätzliche Jahrzehnt hat die Situation aber wohl kaum verbessert. Umso sinnvoller erscheint da ein überarbeitetes Remake, das das Ursprungsspiel wieder auf ein zeitgemäßes Niveau hebt. Wenngleich NieR Replicant technisch noch immer nicht mit aktuellen Titeln mithalten kann, hat sich im Bereich Optik spürbar etwas getan. Zahlreiche Texturen wurden ausgetauscht, Kulissen mit neuen Details versehen und Charaktermodelle großzügig überarbeitet. Leider fallen nicht zuletzt dadurch Nebencharaktere, matschige Texturen und die noch immer steinerne Mimik der Protagonisten besonders negativ auf. Immerhin läuft der Titel selbst in überlaufenen Kämpfen weitestgehend mit stabilen 60 Bildern pro Sekunde.
Zusätzlich zu den grafischen Verbesserungen hat man sich zudem die Mühe gemacht und kleinere inhaltliche Ergänzungen vorgenommen: Nebst frischen Zwischensequenzen, halten auch gleich eine neue Nebengeschichte sowie einige nette Automata-Referenzen Einzug, die aber ruhig hätten großzügiger ausfallen können. Aufgrund des für westliche Gefilde neuen Hauptcharakters mussten natürlich auch die Dialoge vollständig neu eingesprochen werden. Das Ergebnis ist eine gelungene englische, aber auch japanische Synchronisation, die wahlweise von deutschen Bildschirmtexten begleitet wird.
Wie schon einst das Original bietet Replicant ver.1.22474487139 mehrere zusätzliche Enden, von denen eins für das Remake sogar komplett neu erdacht wurde. Um die Geschichte und all seine Aspekte also vollumfänglich erfassen zu können, verlangt Nier, dass man es gleich mehrfach durchspielt. Jeder Durchlauf offenbart dabei neue Hintergrundinformationen und Aspekte zu euren Begleitern, die dem großen Ganzen einen völlig neuen Drift geben können. Leider verändert sich der spielerische Anspruch dabei so gut wie gar nicht: Stupide wiederholt ihr ein ums andere Mal sämtliche (Boss-)kämpfe und Missionen. Gerade weil Backtracking im Laufe der Kampagne ein großes Thema ist, fühlt sich schon der zweite Spieldurchlauf an wie der öde Mittelteil von “Täglich grüßt das Murmeltier”. Ein neuerlicher Auto-Kampf-Modus, den ihr ungeschickterweise allerdings nur auf dem leichten Schwierigkeitsgrad aktivieren könnt, schafft zumindest ein wenig Abhilfe.