Alles eine Frage der Perspektive. Was fast schon eine inflationäre Phrase ist, wird bei Viewfinder zum Kernelement. Das Spiel der Sad Owl Studios begeisterte mich schon mit seinem Reveal-Trailer, denn das Spiel mit der Perspektive sah damals schon visuell beeindruckend aus und löste in mir Neugier aus, welch spielerischen Möglichkeiten hier wohl möglich sein könnten. Nachdem ich das Spiel nun getestet habe, bin ich schlauer, aber auch glücklicher?
Simulierte Wirklichkeit
Viewfinder ist das erste Spiel, bei dem ich mich schwer tue, es so in Worte zu fassen, dass es dem Bewegtbild auch gerecht wird. Denn der Titel lebt von seiner visuellen Darstellung. Die Grundstruktur ist jedoch sehr simpel. Es gibt eine Art Hub, eine Oberwelt. Diese besteht aus 5 verschiedenen Bereichen, die allesamt häusliche Elemente inmitten eines leeren weißen Raumes zeigen. Kein Wunder, denn Viewfinder ist eine Simulation. Das ist kein wirklicher Spoiler, denn schon sehr früh im Spiel fliegt die Hauptfigur aus dieser heraus und muss die Simulation in der realen Welt neu starten. Darum herum spinnt sich eine Geschichte, die eher subtil ist, keine Tiefe bietet und eher das Hier und Jetzt beschreibt. Das klingt vielleicht schlechter als es ist. Gedacht ist es, um das Gameplay-Element durch eine Hintergrundgeschichte aufzulockern. Doch bleibt es darin so hintergründig, dass es für die meiste Zeit des Spiels eigentlich auch egal ist. Lediglich zum Ende hin nimmt die Erzählung etwas Fahrt auf und greift die Hintergründe dieser Simulation auf. Wegen dem Storytelling braucht man das Spiel allerdings nicht spielen, auch wenn mir die englische Synchro sehr gut gefallen hat.
Ich spring von Level zu Level
Das bereits erwähnte Hub beinhaltet pro Welt eine unterschiedlich hohe Anzahl an Levels. Diese erreiche ich über rote Bildschirme, die mich direkt in das Level katapultieren. Ein bisschen fühlte ich mich hier wie in Super Mario 64. Dort angekommen verlaufen die Level nach einem bestimmten Muster. Man sieht, mehr oder minder offensichtlich, eine zu erreichende Plattform. Diese lässt sich aber auf den ersten Blick nicht erreichen. Weder per Sprung noch mittels irgendwelcher anderen Mechanismen. Doch da kommt die Kernmechanik von Viewfinder zum Tragen. Mittels Bilder lassen sich eben jene Orte erreichen. Diese finden sich meist irgendwo im Level versteckt. Nun muss man dieses nur noch irgendwie richtig ausrichten und platzieren. In Echtzeit verschwimmt das Bild dann mit der Umgebung und eröffnet damit neue Wege. Dieses “Omg, das geht ja wirklich”-Gefühl, welches hier in der ein oder anderen Situation entstehen kann, hatte ich so zuletzt nur bei The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom. Denn es gibt zwar auch eine Art “richtig” und “falsch”, aber in der genauen Anordnung der Bilder gibt es durchaus noch die ein oder andere Freiheit, gerade im späteren Verlauf. Doch davon hätte ich insgesamt gerne noch ein bisschen mehr gehabt.
Zum Staunen
Was sich im ersten Moment cool, aber simpel anhört, ist insbesondere immer wieder ein visuelles Erlebnis. Wie sich die Bilder mit der Umgebung verhalten, sorgte immer wieder für Inneres Staunen. Denn prinzipiell kann ich die Bilder überall mit der Welt verschmelzen lassen, wo ich möchte. Ob es mich zum Ziel führt, ist eine andere Frage. Der Ausweg aus einem jedem Level ist nämlich der Teleporter, der mich in die Hub-Welt zurückbringt. Hat man das Prinzip verstanden, spielen sich die Level dann teilweise erstaunlich locker runter. Hat man aber doch mal einen Fehler gemacht, lässt sich der leicht korrigieren. Mittels einer Rückspulfunktion kann man zu jeder Aktion, die die Welt beeinflusst, zurückspringen und die Aktion quasi rückgängig machen.
Doch es ist nicht nur ein Werkzeug zum Korrigieren, sondern auch zum Ausprobieren. So ergeben sich schlichtweg auch immer wieder Momente, in denen man Auswirkungen gewisser Ereignisse erkunden kann. Das ist auch nötig, denn nicht immer finde ich einfach irgendwo ein Bild, platziere es und bin dann fertig. In vielerlei Hinsicht erweitert sich das Kern-Gameplay. Zum einen findet man relativ bald gleich mehrere Bilder, bei denen man dann abwägen muss, welches Bild an welcher Position platziert werden muss, zum gibt es an gewissen Stellen Drucker, mit denen ich Bilder vervielfältigen kann. Wie viele man für das Weiterkommen kopieren muss? Das verrät das Spiel nicht. Knobeln und Ausprobieren.
Ein weiteres Element sind die Batterien, die man teilweise finden und an den Teleportern platzieren muss, damit diese funktionieren. Die Batterien lassen sich natürlich nur mittels der Bilder finden. Teils sind diese in den Bildern, teils müssen sie aber auch durch die Verwendung mehrere Bilder erschlossen werden. Das ist alles ganz nett, aber nach ein, zwei Levels auch irgendwie relativ einfach, sodass das pure Verschmelzen von Bild und Welt in erster Linie meine Faszination triggern. Das liegt aber auch daran, wie das Verschmelzen derer funktioniert. Mal erschaffe ich Stufen, mal erbaue ich Brücken, mal verändern sich Blickwinkel und ein anderes Mal muss ich die Bilder mehrfach drehen, um mir die Schwerkraft zunutze zu machen. Viewfinder nutzt sein Kernelement einfach auf eine Weise, wie ich es noch nie erlebt habe.
Das eigene Portal erschaffen
Richtig interessant wird das Spiel dann, wenn ich die Kamera freischalte. Mit ihr kann ich völlig frei Bilder knipsen und bin nicht auf die vorgegebenen Bilder aus der Umwelt angewiesen. Somit kann ich meiner Kreativität nochmal mehr freien Lauf lassen, zwar nicht immer, aber manchmal. Zumindest fordert es mich deutlich mehr, da ich nun das richtige Bild für die richtige Situation knipsen muss. Allerdings gibt es ein Foto-Limit. Natürlich wäre es auch irgendwie amüsant einen gigantischen Bilder-Loop zu erzeugen. Jedoch wäre damit auch ein wenig die Herausforderungen weg, sich auf eine geeignete Lösung zu reduzieren.
Insofern finde ich das Limit sehr willkommen, damit meine grauen Zellen auch ans Arbeiten kommen und mich außerdem an weiteren Möglichkeiten versuchen kann. Erst da wird Viewfinder zu mehr als zu einem Eyecatcher. Zu einem sehr ähnlichen Zeitpunkt im Spiel, kann ich außerdem gewisse Strukturen in Spielen zu einem Bild verschmelzen lassen, etwa wenn ich aus dem richtigen Winkel heraus auf einen bemalten Zaun blicke und dieser im Hintergrund mit einem Objekt aus dem Hintergrund verschwimmt, dann erzeugt dies ein weiteres Element in der Spielwelt. Solche Dinge sind neben meinem visuell x-ten Wow-Faktor auch ein spielerisch willkommenes Element. Zudem nutzt Viewfinder zunehmend auch sehr gekonnt verschiedene Art-Styles. Mal lege ich ein Aquarell-Bild über ein Cartoon Bild und mal platziere ich nahezu per Bleistift gemalte Objekte in einer kunterbunten Umgebung.
Es ist so erfrischend, wie sehr ich visuell unterhalten werde. Und dann kommt auch noch tiefe ins Gameplay, welches sich intelligent aufeinander aufbaut. Da blüht das Spiel richtig auf, denn die erste Spielhälfte spielt sich doch sehr einfach. Das liegt an den noch sehr begrenzten Interaktionsmöglichkeiten. Doch ab der Mitte des Spiels gab es dann sogar den ein oder anderen Moment, an dem ich nicht wirklich weiterkam. Die Tipps, die das Spiel angibt, wenn man längere Zeit in einem Level festhängt, sind allerdings nur bedingt hilfreich. Manchmal hilft es einfach auszuprobieren oder mal eine Nacht drüber zu schlafen.
Das i-Tüpfelchen fehlt noch
Um noch länger bei der Stange gehalten zu werden, hätte Viewfinder zwei wesentliche Dinge anders machen können. Zum einen hätte es vornweg eine viel direktere und packendere Geschichte erzählen können, sodass die Mischung aus Gameplay und Erzählung gleichermaßen unterhält und mir in gewisser Weise mehr Abwechslung schenkt. Zum anderen hätte Viewfinder mir noch mehr der möglichen kreativen Möglichkeiten schenken können. Das Prinzip ein Bild mit der Welt verschmelzen zu lassen ist so großartig und begeisterte mich einfach jedes Mal in seiner Ausführung, dass ich mich in der Art und Weise ans Ziel zu kommen gerne noch mehr ausgetobt hätte. Stattdessen sind die meisten Rätsel sehr stringent und geben mir relativ deutlich zu verstehen, wie ich ein Level zu lösen habe. Nicht falsch verstehen, das macht richtig Spaß! Insbesondere nach dem ersten Drittel, wenn der Schwierigkeitsgrad anzieht. Denn der Beginn ist bis zum Mittelteil teils etwas zäh, eben weil die Lösung mir teils so offensichtlich hingehalten wird und kaum meine Denkkraft herausfordert. Es ist diese letzte Hürde, die dem Titel den Platz im obersten Regal verwehrt.