Kung-Fu trifft auf sprechende Tiere, eine kunterbunte Welt und ein actionreiches Abenteuer „Gut gegen Böse“ – Was zunächst wie ein überladener Kinderfilm klingt, ist tatsächlich das neuste Spieleprojekt des schwedischen Entwicklerstudios Experiment 101. Das Motto: höher, größer, weiter. Eigentlich schon für 2018 angekündigt, musste das selbsternannte Open-World Kung-Fu-RPG jedoch einige gamescom-Messen ins Land ziehen lassen und diverse Release-Verschiebungen hinnehmen, bis es nun endlich das Licht der Welt erblicken darf. Aber hat sich das Warten auf den ambitionierten Actiontitel tatsächlich gelohnt oder hat sich das 20-köpfige Team mit diesem Mammut-Projekt doch übernommen?
Kung-Fu-Fabel
Biomutant hat sich ein ambitioniertes Ziel gesteckt: Zahlreiche, ausgeklügelte Gameplay-Elemente sollen im Abenteuer unseres kleinen pelzigen Protagonisten Platz finden und gemeinsam etwas großes Neues schaffen. Wenig überraschend tut sich das Spiel aber vom Start weg genau mit diesem Vorhaben außerordentlich schwer. Das beginnt schon im Rahmen der kreativen Hintergrundgeschichte: Nachdem die alte Welt von machthungrigen Konzernen in den Untergang gerissen wurde, erhebt sich eine neue Zivilisation aus ihrer Asche. Umweltzerstörung und Giftmüll ließ die Weltbevölkerung zu anthropomorphen Tieren mutieren, die sich nun in verschiedenen Gruppen neu formieren und ums Überleben kämpfen. Doch eine zweite Apokalypse steht bereits kurz bevor: Sogenannte Weltenfresser drohen den Baum des Lebens und damit die Zivilisation zu vernichten. Und wie sollte es auch anders sein, kann nur unser kleiner Kung-Fu-Lehrling das Übel abwenden und die Überlebenden einen. Die Geschichte hinter Biomutant verfolgt zwar einen spannenden und kreativen Ansatz, groß darüber hinaus wachsen kann sie allerdings nie. Die Erzählung ist trotz des ernsten Untertons über weite Strecken schlicht hanebüchen und langatmig. Ab und an wird die Geschichte zwar von kleinen Humorspitzen und Gesellschaftskritik aufgelockert, insgesamt bleibt sie jedoch weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Große Überraschungen oder Wendungen fehlen gänzlich, während man inszenatorisch sogar noch das zu unterbieten weiß. Sämtliche Zwischensequenzen wirken starr, antiquiert und einfach hingeklatscht – ja, fast schon wie aus einer frühen Alpha-Version entliehen.
Natürlich muss man dem Spiel wohlwollend zugutehalten, dass es sich gar nicht mit Open-World-Blockbustern oder AAA-Titeln messen kann und will, dennoch wäre hier und da etwas mehr Polishing wünschenswert gewesen. Ein ganz ähnliches Bild zeichnet sich auch im Quest-Design ab. Gerade im Rahmen der Kampagne müsst ihr wiederholt Besorgungen für wechselnde Auftraggeber erledigen, folgt immer wieder demselben Schema F und werdet mit Fetch Quests nur so zugemüllt. Das Ende vom Lied: Den Großteil eurer Spielzeit marschiert ihr durch die kunterbunte, frei begehbare Spielwelt. Denn – wie sollte es auch anders sein – Biomutant braucht selbstverständlich eine große Open-World-Spielwiese, die aber glücklicherweise eines der wenigen Highlights des RPGs darstellt.
Optisch setzt das Entwicklerteam auf eine farbenfrohe, comichafte Postapokalypse, die bisweilen sogar einige wunderschöne Kulissen zu bieten hat. Das Endzeit-Setting ist dank seiner knuffigen Aufmachung sehr erfrischend, Elemente wie Lautmalerei und Comicblasen setzten ab und an schöne Akzente. Da sieht man auch einmal gern über krude Animationen der Gewässer oder Gräser hinweg. Biomutant zeigt zudem einige durchaus witzige und sympathische Ideen: Während ihr Schnellreisepunkte beispielsweise wie ein Hund „markiert“ und euch so aneignet, könnt ihr Tierkot an Händler verkaufen, um ein wenig Reibach zu machen.
Open-World – Warum nicht?
Aber spätestens jetzt werden Biomutant seine großen Ambitionen zum Verhängnis. Anstatt sich auf einige wenige Grundlagen zu fokussieren, will es immer noch einen oben draufsetzen – ganz zum Leidwesen derer, die das Frankenstein-Konstrukt irgendwie zusammenhalten müssen. So kunterbunt und künstlerisch die Spielwelt von Biomutant nämlich gestaltet wurde, so statisch und leer wirkt sie stellenweise auch. Zwar findet ihr am Wegesrand immer wieder Gegnergruppen, Sammelobjekte oder gar Loot, bewohnte Dörfer oder NPCs bleiben aber eine Seltenheit.
Dennoch weiß die Welt mit abwechslungsreichen Landschaften zu überzeugen: Von Steinwüsten, über verlassene Ruinen und Tunnelnetzwerke bis hin zu grünen Wäldern dürft ihr durch so manch unwegsames Gelände reisen. Hinzukommen sieben gefährliche Biome, die überall auf der Map verteilt sind und die ihr erst mit spezieller Ausrüstung unbeschadet durchqueren könnt. Dadurch bekommt Biomutant seichte Metroidvania-Anleihen und lädt fortlaufend dazu ein, auch bereits erkundete Startgebiete erneut unter die Lupe zu nehmen. Ob zu Fuß, per Jet-Ski oder mit einem Gleiter – Biomutant lässt euch überraschend viele Freiheiten und setzt euren Erkundungsdrang nur wenig Grenzen. Besonders abstrus: Euer kampfsporterprobter Mutanten-Panda kann sogar diverse Reittiere zähmen und auf ihnen durch die Prärie reiten.
Ihr trefft zwar zuhauf auf die immer selben Gegnertypen und Assets, einen ordentlichen Umfang hat das Spiel mit all seinen – wenn auch belanglosen – Nebenquests und versteckten Orten aber dennoch – Sammelwütige kommen sicherlich voll auf ihre Kosten. Wirklich notwendig ist die ganze ‚Looterei‘ im Übrigen aber leider nie. Schon in unserem ersten Spieldurchlauf haben wir viele der optionalen Bereiche einfach übersprungen – denn Biomutant ist selbst auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad noch viel zu leicht.
Bis unter die Zähne bewaffnet
Im Zentrum der weitläufigen Karte befindet sich der imposante Baum des Lebens und damit die zentrale Anlaufstelle der Kampagne. Von ihm gehen vier Wurzeln in unterschiedliche Himmelsrichtungen ab, an dessen Enden jeweils ein Weltenfresser darauf wartet, von euch bezwungen zu werden. Diese Bosskämpfe sind recht imposant und fordern bisweilen eine bestimmte Strategie, wirklich herausfordernd ist aber keiner von ihnen. Häufig genug sind die Kämpfe schon vorbei, bevor sie überhaupt begonnen haben, was den Weltenfressern viel von ihrer Bedrohlichkeit einbüßen lässt.
Das ist gerade deshalb so schade, weil sich die Kämpfe aufgrund des Free-Flow-Kampfsystems durchaus rasant und dynamisch steuern. Der arcadige Ansatz passt generell gut ins Setting, ist herrlich simpel und kurzweilig. Biomutants Kampfsystem kombiniert dabei Nahkampf mit Fernkampf sowie einer Magiekomponente. Trotz der omnipräsenten Kung-Fu-Thematik setzt euer Charakter irrwitzigerweise seltenst auf waffenlosen Kampfsport, sondern tritt Feinden meist bis unter die Zähne bewaffnet entgegen. Neben einer großen Auswahl an Waffentypen von Schlagstöcken über Schrotflinten bis hin zu Maschinengewehren könnt ihr auch spezielle Skills einsetzen, die schicke Spezialmoves vom Zaun brechen. So lassen sich Feinde beispielsweise einfrieren, via Telekinese hoch in die Lüfte katapultieren oder sogar mit einer Wasserblase platt walzen. Die Auswahl an Waffen und Fähigkeiten ist recht kreativ und einmal mehr überaus variantenreich. Aus spielerischer Sicht fehlt es dann aber auch hier an Feinschliff, allzu große spielerische Unterschiede bleiben schlichtweg aus.
Gameplay-Mash-Up Sondergleichen
Biomutant bietet Spielern zum Start einen simplen Charaktereditor, bei dem ihr eure Klasse, euren Felltyp, die Farben sowie eure primäre Mutation initial festlegen könnt. Euer Aussehen ist dabei eng an eure Fähigkeiten und Attribute gekoppelt: So kann die Wahl eurer Statuswerte eure Statur bestimmen oder eure Rasse Einfluss auf eure passiven Boni nehmen – auch hier lässt Biomutant wieder eine durchaus spannende Prämisse durchblicken, die sich jedoch über den weiteren Spielverlauf viel zu sehr verliert und nach Spielstart kaum mehr Relevanz hat.
Und als wäre das noch nicht genug, setzt das Kung-Fu-Abenteuer natürlich auch noch auf das obligatorische Karmasystem: Im Laufe der Haupthandlung kommt ihr immer wieder an verschiedene Punkte, an denen ihr Entscheidungen treffen müsst. Wollt ihr euch einzelnen Stämmen anschließen oder rivalisierende Gruppierungen unterwerfen? Nehmt ihr ihre Anführer gefangen oder macht sie zu gleichberechtigten Partnern? Je nachdem wem ihr eure Hilfe anbietet, erhaltet ihr gute oder böse Karmapunkte, die wiederum den Storyverlauf beeinflussen können und als Voraussetzung für einige Skills fungieren.
Biomutant suggeriert euch von Beginn an, dass ihr das Machtgefüge der Welt nachhaltig beeinflussen könnt und so die Spielwelt nach eurem Gusto verändert, in der Realität fällt aber auch dieses Feature kleiner und unbedeutender aus als es den Anschein macht. Häufig fühlen sich eure Taten nichtssagend und wenig invasiv an, viele Dialoge gaukeln euch Optionen vor, laufen dann aber spürbar linear ab. Das Entscheidungssystem ist letzten Endes viel zu platt und aufgesetzt. Viele der – ach so relevanten – Missionen wiederholen sich zudem mehrfach und dienen lediglich der Spielzeitstreckung, als dass sie wirklichen Einfluss auf den Storyverlauf nehmen.
Auch noch handwerklich begabt…
Auch beim Crafting-System hat man einmal mehr groß gedacht: Jede Waffe lässt sich nach Belieben umbauen und mit den richtigen Teilen aufrüsten. Dabei besteht jedes Item aus einem Basisteil und zahlreichen weiteren Komponenten, die ihr entsprechend austauschen könnt. Neue Bauteile findet ihr entweder in der Spielwelt oder erhaltet sie durch Verwerten alter Ausrüstungsgegenstände. Hier kommt wieder der comichafte Humor des Spiels zum Tragen: Von Tennisbällen über Zahnbürsten bis hin zu Bananen lässt sich alles Mögliche in den Wummen verbauen, was den Gegner auf irgendeine Weise Schaden zufügen kann. Ähnliches gilt auch für eure Rüstung, die ihr mit zahlreichen Addons modifizieren könnt. Das hat aber leider auch zur Folge, dass ihr völlig inflationär mit Einzelteilen nur so überschüttet werdet. Wirklich übersichtlich oder notwendig ist die komplette Mechanik nie, zumal euch die Kampagne ununterbrochen mit starken Schießeisen versorgt.
Die Charakteremenüs sind im Übrigen mindestens so überladen wie das Spielgeschehen selbst. Eure Ausrüstung ist trotz gleichbleibender Optik vom Craftingbereich getrennt, sodass ihr gerade zu Anfang viel Zeit in die Navigation investiert. Daran anknüpfend findet sich das RPG-System: Mit jedem Level-Up könnt ihr ausgewählte Statuswerte steigern sowie entweder passive Fähigkeiten oder aber neue Spezialmannöver für euren Lieblingswaffentyp freischalten. Für all das gibt es natürlich eigene Unterbereiche in den ohnehin schon überladenen Menüs. Wie? Noch nicht verwirrt genug? Eure Skills werden zusätzlich in biogenetische und psionische Mutationsaktionen unterteilt, die jeweils nochmals ganz andere Ressourcen erfordern. Im Kontext des Spiels selbst wird das alles aber natürlich nie sinnvoll eingewoben oder gar thematisiert.
Ein wahrer Alleskönner?
Biomutant ist leider nie mehr als die Summe seiner Teile, sondern immer nur genau das: Ein Actionspiel, in dem gameplayseitig viele und vielleicht sogar zu viele Ideen Einzug gehalten haben, die deutlich mehr Tiefgang und Feinschliff vertragen hätten. Es scheint, als wüsste Biomutant nicht so recht, was es sein will und versucht sich stattdessen in allen Disziplinen gleichzeitig: Riesige Open-World? Check! Dynamisches Karma- und Entscheidungssystem? Doppel-Check! Kleinteilige Crafting-Mechanik? Na logisch! Vielseitiges RPG-System? No-Brainer.
Dass man in keinem der Bereiche wirklich brillieren kann, nimmt man offenbar wohlwollend in Kauf. Experiment 101 gelingt es schlicht nicht sich auf die wichtigen Dinge zu fokussieren und diese sinnvoll auszuarbeiten, stattdessen klatscht man dran, was noch irgendwie dranzuklatschen ist. Das Ergebnis ist eine Art Frankensteins-Monster – kein Gehirn, kein Herz, aber gerade so lebensfähig.
Unglücklicherweise ist Biomutant auch auf technischer Seite noch recht unausgereift. Mal katapultiert euch das automatische Speichern an ungünstige Rücksetzpunkte, mal bricht die Framerate völlig grundlos ein und auch sonst ist Clipping kein besonders relevantes Thema für euren Haudegen. Häufig genug verhöhnt euch die Kamera mit nur allzu ungünstigen Winkeln, während euch kleinere Bugs schonmal das virtuelle Leben erschweren können. Animationen wirken größtenteils ungelenk und steif oder werden schlicht einfach abgebrochen. Selbst auf der leistungsstarken Xbox Series X sind das Nachladen von Texturen und sogar ganzer Sichtbereiche keine Seltenheit. Deplatzierte Ladebildschirme drängen sich zudem an den ungünstigsten Stellen auf und Schaden der Inszenierung enorm.
Eines von Biomutants Alleinstellungsmerkmalen ist sicherlich die Art der Vertonung sowie die Wahl seiner Synchronsprecher. Letztere gibt es genau genommen nämlich gar nicht. Sämtliche Tiere und Fabelwesen, die euch im Spiel begegnen, sprechen lediglich unverständliches Kauderwelsch, das wiederum vom Erzähler lose übersetzt wird. Auf dem Papier wird euer Abenteuer so zu einer Art kunstvollen Märchenstunde, die vom gesichtslosen Erzähler stets begleitet und kommentiert wird. In der Praxis zeigt sich jedoch ein ganz anderes Bild: Der Erzähler schmeißt euch nur so mit indirekter Rede und bedeutungsschwangeren Floskeln zu, das ständige Herumreiten auf nichtssagenden Redewendungen zeigt gerade in späteren Spielabschnitten hohes Provokationpotenzial. Die passive Erzählweise macht das Geschehen zudem wenig erlebbar. Sämtliche Nebencharaktere verkommen schlicht zu statischen Puppen, denen es signifikant an Persönlichkeit mangelt.
On top kommt dann noch die schwache deutsche Lokalisierung. Hin und wieder fehlt mal ein Wort in den Texten, ein anderes Mal werden die synchronisierten Parts einfach unterbrochen und an besonders kritischen Stellen wechselt euer Erzähler von der ein auf die andere Sekunde plötzlich seine Tonlage. Spätestens hier wirkt das Erlebte wie eine Low-Budget-Produktion aus einer Zeit, in der deutsche Synchronisation noch Neuland war. Zu allem Überfluss scheint der Erzähler bisweilen sogar recht unmotiviert und unnispiriert am Werke zu sein – was bei all dem inflationären Phrasendreschen nur nachvollziehbar ist. Das ist nicht zuletzt deswegen so schade, da eben dieser Sprecher die Handlung über das gesamte Spiel hinweg tragen muss. Letztlich schafft ein Wechsel auf die originale englische Sprachversion Abhilfe: Auch wenn es dem Geschichtenerzähler noch immer nicht gelingt, charismatisch auf das Geschehen einzuwirken, fallen die Kritikpunkte hier zumindest nicht allzu gravierend aus.