Aus den Männern (und Frauen), die in den Hinterzimmern der Konzerne die Geschicke dieser Welt kontrollieren, haben sich schon viele Geschichten erzählen lassen und sie werden nicht alt – auch im Videospiel Spinnortality.
Irgendwie hat die Hauptfigur, also wir, es geschafft, in den Fokus fünf gesichtsloser Schattengestalten (Direktorium genannt) zu rücken, die ein ganz spezielles Anliegen an uns haben: Ihnen ewiges Leben zu verschaffen, egal um welchen Preis, andernfalls – nun ja, passiert eben das, was einflussreiche Menschen bei wichtigen Anliegen, die fehlschlagen, so zu tun pflegen. Denn um zu garantieren, dass wir auch wirklich motiviert und diszipliniert genug sind, diesem an uns gestellten Auftrag gewissenhaft nachzugehen, wurde uns vorsorglich ein Chip unter unsere virtuelle Haut implantiert, der bei Misserfolg dafür sorgen wird, dass wir diese Welt vorzeitig mit den Mitgliedern des „Direktoriums“ verlassen werden. In ein paar Jahrezenten. Um unser Ziel in dieser Zeit zu erreichen, gibt es einen simplen Weg: wir müssen unsere gerade gegründete Firma rentabel machen, um uns Einfluss zu erkaufen, sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Hinterzimmern dieser Welt. Zum Glück wurde für ein großzügiges Startkapital gesorgt. Je nachdem, für welchen der drei Schwierigkeitsgrade der Spieler sich am Anfang entscheidet, variieren auch die finanziellen Zuwendungen, die wir dazu verwenden können, in die obersten Riege der Mächtigen aufzusteigen.
Viele Wege führen zur Unsterblichkeit
Der Aufbau unseres globalen Megaunternehmens ist auch das eigentliche Ziel der traditionellen rundenbasierten Wirtschaftssimulation. Als CEO stehen uns die verschiedensten Methoden zur Verfügung, die wir in insgesamt neun fiktiven Groß Nationen des Jahres 2060, in die die Welt in Spinnortality eingeteilt ist, geschickt anwenden müssen: Russland, Ozeanien, Asien, Nordafrika, Nahost, Europa, Südafrika, Nordamerika, Südamerika. Durch ihre politische Fragilität und der weltweiten Instabilität dieser Systeme, sind sie ein leichtes Ziel für unsere diversen Manipulationsversuche. Da wir aber gerade erst am Anfang stehen, müssen wir in vielen Runden durch Forschung und Autoritätsgewinnung erstmal herausfinden, welche Mittel wir überhaupt haben und diese mit der Zeit erweitern. Dazu brauchen wir wie jedes Unternehmen Arbeiter, Festangestellte oder Praktikanten, die diese Arbeit für uns erledigen, um die erfolgreich erforschten Strategien dann in den Ländern implementieren zu können. So erwirtschaften wir Geld, das wir in Forschung reinvestieren und die das Wachstum unserer Firma voranschreiten lassen. Je erfolgreicher wir sind, desto höher steigt unser Ansehen im Direktorium, das uns stets im Nacken sitzt und daran erinnert, warum wir das alles eigentlich tun.
Ganz in der Manier von Aufbausimulationen gilt es, die Balance zwischen öffentlicher Reputation, Mitarbeiterzufriedenheit und dem Erlangen des eigentlichen Zieles im Auge zu behalten, denn unsere Entscheidungen beeinflussen all diese Bereiche gleichermaßen. Geben wir bspw. nicht genug auf unsere Angestellten acht, sinken ihre Zustimmungswerte, was im schlimmsten Fall zu Kündigungen und Streiks führt, die sich wiederum auf die Effizienz der Firma, Kapital zu erwirtschaften, niederschlagen. Aber wie jedem guten Global Player stehen uns Zuckerbrot oder Peitsche zur Verfügung, um alles wieder in geregelte Bahnen zu lenken. Wir können die Moral erhöhen, indem wir das Grundgehalt aufstocken oder wir schwächen die Gewerkschaften, um organisierte Arbeiterbewegungen zu erschweren. Dies ist zumindest so lange nötig, bis sie selbst ihren Ersatz erforscht haben und Künstliche Intelligenzen und Roboter ihre Plätze übernehmen können.
Immer einen Schritt voraus sein
In den leicht beeinflussbaren Groß Nationen geht es darum, mittels Analyse der Informationen, die uns vorgegeben sind, sowohl gezielt auf die Öffentlichkeit einzuwirken und sie für uns einzunehmen als auch Regierungen entweder zu stürzen oder zu unterstützen – je nachdem, welche Taktik wir uns zurecht gelegt haben. Zur Planung unserer Strategien dienen uns überschaubare Menus zu jeder Nation, die Details zur Einstellung der Bevölkerung, politischen Situation und rechtlichen Vorgaben zur Verfügung stellen. So ist es bspw. einfacher, Leute für neue Technologien zu begeistern, wenn sie eher an Neuheiten als an Traditionen interessiert sind. Unsere Passgenaue Auswahl anzuwendender Methoden bestimmen auch den Umsatz, den wir in den Ländern, in denen wir uns engagieren, generieren. Und diese müssen wir regelmäßig überprüfen, denn durch unsere im Spielverlauf getroffenen Entscheidungen, die anfänglich nicht so leicht zu durchschauen scheinen, als auch durch zufällig pro Runde generierte Ereignisse, verschieben sich Einstellungen und Machtverhältnisse im Laufe der Zeit.
Schön Mails, News und Menus im Auge behalten, ist daher angesagt.
Auch in die Regierungen selber können wir eingreifen und uns bspw. mit viel Geld Anteile an „Konzernationen“ kaufen oder Aufstände anzetteln, die schneller für einen Umbruch in der politischen Landschaft sorgen und unsere Partei der Wahl an die Macht bringen können.
So gewinnen wir nicht nur Geld und Ansehen, sondern steigen auch in der Anerkennung des Direktoriums und erhalten Autorität, um das eigentliche Ziel der Spielmechanik voranzutreiben: Agenda Setting.
Die Agenden sind machtvoll und relevant dafür, durch welche Mittel genau wir unser Ziel erreichen wollen. Wenn wir uns bspw. für Medien entscheiden, können wir gezielt Einfluss auf die öffentliche Berichterstattung nehmen, Konkurrenz von der Verbreitung von Informationen abschneiden und auch gezielt Fake News verbreiten.
Cyberpunk-Dystopie für Genrefans
Natürlich gibt es noch viele andere Dinge, die wir in Spinnortality unternehmen oder die sich uns in den Weg stellen können. So müssen wir uns auch anderen Unternehmen erwehren, die uns schaden wollen, können selber Spionage betreiben und müssen neben der Führung unseres Mega Unternehmens natürlich auch noch an der Entwicklung zur Erschaffung neuer Körper und Bewusstseinstransfers arbeiten.
Und das alles von unserer simulierten Computeroberfläche aus. Spinnortality, das sich selbst als Cyberpunk Management Sim bezeichnet, setzt, wie andere bald erscheinende Titel, nicht auf ausufernde Animationen, sondern kommt mit einer reduzierten und stilisierten Grafik daher. Jeder unserer Schritte wird in Menus und Fenstern, durch die wir kontinuierlich während des Spiels browsen und zwischen denen wir Informationen miteinander vergleichen, durch Kommunikation in E-Mail-Form und gelegentlichen Anrufe geplant und überwacht, während sich im Hintergrund eine Cyber-Weltkugel dreht.
Erschlagen wird man durch zu viele Informationen nicht, da die Menus nicht überladen und leicht überschaubar sind, die meisten Grafiken sind selbsterklärend oder besitzen ausreichend Erklärungstext, um sie zu verstehen. Diese Einfachheit sollte aber nicht automatisch auf die Spielmechanik übertragen werden, deren Kausalitätskette manchmal für Überraschungen sorgen kann. Und wie immer gilt: Je mehr Strategien erforscht und ausgeführt werden, desto anspruchsvoller wird es, den Überblick zu behalten.
Auch die futuristische und reduzierte Musik bettet sich glaubhaft in das Szenario ein und unterstreicht die Situation, der sich der Spieler gegenübersieht. Jede Entscheidung sollte überlegt sein. Dazu haben wir genug Zeit, denn es vergeht keine Echtzeit im Spiel, sondern das Ende jeder Runde markiert einen Sprung von sechs Monaten in die Zukunft, nach dem wir dann wieder genug Ruhe haben, um die Auswirkungen und Ereignisse zu analysieren und dementsprechend zu handeln.
Hinter dem Spiel Spinnortality steht kein Entwicklerstudio, sondern der in Wien lebende Brite James Patton, das sowohl durch Finanzierung der österreichischen Regierung als auch einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne ermöglicht wurde.
Auf dessen Blog können sogar die Zahlen für Spinnortality nachgelesen und gleichzeitig seine beiden neu entwickelten Minigames eingesehen werden.
Das Spiel ist seit dem 01. Februar auf Steam und auf itch.io erhältlich und neben Windows und iOS auch für Linux optimiert. Bisher kann es nur in englischer oder deutscher Sprachausgabe gespielt werden, weitere Sprachen scheinen bisher nicht in Planung zu sein.