Dem Strategiespiel-Genre geht es ja eigentlich gerade recht gut. Neben Pioneers of Pagonia, Sins of a Solar Empire 2, Age of Mythology: Retold erschien nun auch Frostpunk 2. Ein recht gutes Jahr also! Dazu gesellt sich jetzt auch Ara: History Untold. Hinter dem ungewöhnlichen Titel verbirgt sich ein 4X-Rundenstrategiespiel, das es mit Civilization aufnehmen möchte. Große Ambitionen. Aber bietet das Spiel genug Einzigartigkeit und Qualität, um den Platzhirsch vom Hof zu jagen? Wir schauen mal rein!
Wenn ehemalige Civ-Devs sich austoben dürfen
Strategie-Fans haben vielleicht von dem Titel gehört, in der Masse dürfte das Spiel jedoch sicher unbekannt sein. Dabei hatte das Game ein echt seltenes Privileg. Oxide Games formierte sich nämlich aus ursprünglichen Civilization-Devs, die zunächst an DER Engine für Rundenstrategiespiele der nächsten Generation arbeiten wollten, was ihnen bei 2K nicht vergönnt war. Nach Jahren der Entwicklung gab es ein Unternehmen, welches von der neuen Engine mehr als begeistert war: Microsoft! Den ehemaligen Civ-Leuten stellte man umfangreiche Mittel und kreative Freiheiten zur Verfügung, um unbedingt ein eigenes Spiel zu entwickeln. Heraus kam nun Ara: History Untold.
Den Vergleich mit Civilization muss ich leider noch öfter ziehen. Aber es ist sehr offensichtlich, dass sich Ara deutlich an dem Titel orientiert und viele Elemente aufgreift und teilweise neu denkt. Aber fangen wir mal ganz von vorne an.
Geschichtsnah?
Vor dem Start einer Runde kann ich eine aus 36 Nationen wählen, mit der ich die nächsten Stunden verbringen möchte. In der Deluxe-Edition sind es nochmal 5 mehr. Ob das Abbasiden-Kalifat, Argentinien, Indien, das Heilige Römische Reich, China oder Japan. Hier sollten kaum Wünsche offen sein. Jede Nation wird von einer historisch relevanten Person geprägt und repräsentiert. Sie unterscheiden sich im Wesentlichen von ihren Boni. Während Dschingis Khan und die Mongolen u.a. aggressivere Streitkräfte besitzt und insbesondere die Kavallerieeinheiten hervorstechen, bekommt Karl der Große etwa verschieden Boni auf Fertigungen und Bauproduktionen.
Das führt mich aber auch zu einem meiner wenigen Kritikpunkte des Spiels, der mich allerdings am meisten beschäftigt. Ich habe mich beispielsweise in meiner ersten Runde für Japan und Tokugawa Ieyasu entschieden. Doch anstatt auch den historischen Kontext in irgendeiner Weise spielerisch, bzw. in seiner Erzählung zu spüren, beschränkt sich der Unterschied zu anderen Nationen lediglich in den Boni. Dass die Geschichte jeder einzelnen Nation zu umfassend ist, um sie in ein solches Spiel zu integrieren, ist mir durchaus bewusst. Aber ein paar Eigenheiten und Bezüge hätten mich schon sehr glücklich gemacht. Immerhin orientieren sich meine Stadtnamen an den Originalen und es gibt hin und wieder während einer Runde sogenannte Events, die sich auch manchmal an historischen Ereignissen orientieren, aber keinen Bezug zu meiner Nation haben.
Hex-Felder? War gestern!
Zu Beginn fällt ein großer Unterschied zu Civilization direkt auf. Anstatt der bekannten Waben, bekommen wir hier etwas freiere Felder, die sich eher an Wald -und Flussverläufen orientieren und dadurch natürlicher wirken. Zudem wirkt der Look weniger einfach, denn jedes Spielfeld kommt mit deutlich mehr Detailreichtum daher. So ikonisch die Hex-Felder in Civ sind, habe Ich mich sehr schnell in die etwas natürlichere Umsetzung von Ara verliebt. Der Einstieg im Allgemeinen zeichnet sich noch etwas gemächlich. Das ist in der aller ersten Runde auch gut so, denn so kann ich mich erst einmal mit all den Mechaniken und der UI auseinandersetzten. Hier hilft auch das Tutorial, welches es dazu auch braucht, denn Ara: History Untold ist durchaus komplex. Dazu später aber mehr.
Die UI ist dennoch übersichtlich, ansprechend gestaltet und erschlägt mich nicht direkt. Da der Bau eines Hofes zur Nahrungsmittelgewinnung anfangs noch recht lange dauert, gilt es also das noch verborgene Umland zu erkunden, wozu die Späher geeignet sind. Mit ihnen kann man in der Zwischenzeit teils umher liegende Ressourcen sichern oder auch erste Kämpfe absolvieren. Zwar gibt es keine Barbaren, dafür aber Wildtiere. Man sollte allerdings auf deren Kampfstärke achten, denn sonst sind die Späher schnell vergessene Geschichte. Sind die Späher nach einem Kampf angeschlagen, kann Ich sie auch zuerst heilen und auf einem Feld ruhen lassen. Sollte man mehrere Partien gespielt haben, sind die ersten 10-15 Minuten die wahrlich uninteressantesten. Doch keine Sorge, eine Partie kann schon mal dauern. Sehr lange sogar.
Der Loop, der mir die Stunden raubt
Ein Stadtgebiet unterteilt sich nochmal in mehrere Felder, die ich dann mit verschiedenen Gebäuden bestücken kann. Was sich als nächstes zu Bauen lohnt, hängt von vielen Faktoren ab, die mit zunehmender Spielzeit immer relevanter werden. Die Bewohner haben nämlich diverse Bedürfnisse, die es zu erfüllen gilt. Ob Nahrung, Sicherheit oder Wissen, man sollte immer für Ausgewogenheit sorgen. Zudem sollte ich durch die Produktionslinien sicherstellen, dass sich genügend Ressourcen für weitere Baumaßnahmen, Wachstum oder auch Verbesserungen ergeben. Etwa mit Fertigungen kann ich bestehende Produktionsgebäude verbessern. Der Hof freut sich über einen Pflug, Wohnungsgebäude über Möbel, und das Handwerk freut sich über Werkzeug. Manche sind sogar zwingend voneinander abhängig. Unter anderem die Fleischverarbeitung kann über mehrere Ebenen gezogen werden, sodass ich meine Städte mit üppigen Festmählern boosten kann. Hinter der bunt-fröhlichen Aufmachung verbirgt sich somit eine komplexe Wirtschaftssimulation, die gerade noch rechtzeitig abbiegt, um nicht in mühsames Micromanagement zu zerfallen. Es bildet sich genau der richtige Loop zwischen Einfachheit und mehrstufigen Systemen. Ein schöner Mix entsteht auch immer dadurch, dass ich pro Stadtgebiet immer eine Produktionslinie habe. Diese gilt gleichermaßen für Gebäude und Einheiten, sodass ich abwägen muss, ob ich wirklich noch eine Bogeneinheit ausbilde, oder lieber ein Gebäude errichte.
Alles für Prestige!
Aber wofür das Alles eigentlich? Übergeordnet steht „Prestige“. Das große Ziel ist mit dem höchsten Prestige-Rang da zu stehen. Denn dann hat man am Ende gewonnen. Prestige sammelt man über viele verschiedene Wege, die man einschlagen kann. Wenn ich eine unglaublich komplexe Wirtschaft aufbaue, oder einen gigantischen Militärstaat erschaffe, ein Kulturzentrum werde, Religion in den Vordergrund meines Handels rücke oder auch das größte Wissen durch Forschung ansammle. Es gibt viele Wege um Prestigepunkte zu erlangen und das Schöne ist, dass es komplett egal ist worauf ich den Fokus lege. Ich kann beispielsweise Religion, Kultur und Militär stark vernachlässigen und stattdessen auf Wirtschaft und Handel setzen. Der Sieg ist genauso möglich, wie wenn ich alles in meine Streitkräfte setzen. Ein gewisser Sweet-Spot ist natürlich trotzdem da, weil ohne eine gewisse Wirtschaftsleistung keine Einheiten rekrutiert werden können. Aber man kann sich schon sehr merklich seinen Fokus raus suchen. Oder aber man macht den Allrounder. Alles geht.
Der Clou ist jedoch, dass man mit der Zeit in einen neuen Akt fortschreitet. Diese sind den Zeit Epochen nachempfunden und während Akt 1 noch die Zeit vor dem 6. Jahrhundert v. Chr. umfasst, reicht Akt 3 vom Ende des 19. Jahrhundert bis in die Zukunft. Das dauert aber alles, denn ein Akt unterteil sich nochmal in verschiedene Epochen. Akt 2 beispielsweise reicht vom Frühmittelalter bis hin zur Aufklärung, sprich bis Anfang des 19. Jahrhunderts. Jede Epoche umfasst auch verschiedene Technologien, die es zu erforschen gilt. Es sind jedoch keine Kleinigkeiten. Die erforschbaren Möglichkeiten erweitern das Spiel sehr clever und machen den weiteren Weg durch die Zeitalter enorm abwechslungsreich.
Tolle Progression dank der Forschung
Mit der Erforschung verschiedener Technologien erweitert sich das Repertoire verschiedener Gameplay-Mechaniken immens. Doch eins nach dem anderen. Beispielsweise kann ich verschiedene Möglichkeiten zur Seefahrt erforschen, sodass ich nicht einfach nur einen Fischer losschicke, sondern Docks, Häfen, Kriegsflotten oder Leuchttürme errichten kann. Völlig neue Produktionslinien eröffnen sich, indem ich beispielsweise Gerbereien, Leder, Kleidungen freischalte. Die Progression ist dabei wirklich on Point und ich werde ständig mit neuen Möglichkeiten gefüttert, wie ich meine Entwicklung beeinflussen kann. Ich muss es ja auch nicht machen oder kann mich auf bestimmte Bereiche fokussieren und eher darauf hin arbeiten, die nächste Ära zu erforschen. Dann komm ich zwar schneller in der Zeit voran, lasse jedoch auch viele Technologiestränge links liegen. Und will ich gerade auf eine Verbesserung für meine Streitkräfte verzichten oder gar auf den Bau von Straßen? Alles Abwägungssache. Letztlich kann man trotzdem, wenn man es vernünftig anstellt, mit jedem gut zu Ende gedachten Weg zum Ziel kommen. Das macht den Wiederspielwert auch so unfassbar hoch. Die Spezialisierung verschiedener Technologien und Zielbedingungen erachte ich sogar noch als größeren Faktor, als die Nationen selbst, die meiner Meinung mit mehr Eigenheiten hätten daher kommen können.
Nicht nur das! Ich kann durch die Forschung sogar verschieden Regierungsformen erschließen und mich auch an dieser klammern und ausbauen. Sie bringen alle ihre Vor -und Nachteile mit sich, dadurch erweitern sich die Möglichkeiten ein weiteres Mal sehr clever. Diese bieten mir auch genügend Tiefe und Komplexität, dass es schon allein Spaß macht sich da etwas auszutoben und die Grenzen auszutesten.
Darf ich mitmachen?
Als Civ-Konkurrent darf auch größer gedachter Kampf natürlich nicht fehlen. Einheiten werden glücklicherweise von Region zu Region und nicht von einzelnen Feldern aus bewegt. Diese kann man auch stacken und als größere Armee in Kampfgebiete entsenden. Von da an laufen die Kämpfe automatisiert. Die Siegesbedingungen hängen natürlich von der Größe der Armee, aber auch von der Stärke und Art der jeweiligen Einheiten ab. Dies geschieht nach dem bekannten Schere, Stein, Papier Prinzip. In den Schlachten stellte sich das Ergebnis allerdings immer als nachvollziehbar heraus. Ja, ich weiß, Rundenstrategie. Doch so manches Mal zoome ich in das Kampfgeschehen und wünsche mir selbst mit manuellen Befehlen eingreifen zu können. Vielleicht kommt dort auch nur der innere Total War Monk zu sehr raus.
Ein sehr wesentliches Feature, in Bezug auf die Rundenstrategie, habe ich allerdings noch gar nicht erwähnt, welches aber sehr wichtig ist. Und Total War ist da ein gutes Stichwort. Dort führe ich nämlich meine Aktionen aus und nachdem ich auf Runde beenden klicke, folgen die anderen Fraktionen und führen nach und nach ihre Befehle aus. In Ara läuft das anders! Hier führen alle Nationen parallel ihre Aktion aus und wenn alle auf „Runde beenden“ gehen, startet sofort die neue Runde. Das sorgt für eine sehr interessante Dynamik und hat im Singeplayer auch den Vorteil, dass ich zudem niemals auf die CPU warten muss und ein noch stärkerer „Eine Runde geht noch“-Effekt entsteht.
Wunderschön, aber anspruchsvoll
Ich habe einen ganz vernünftigen Mittelklasse-PC, doch bei Ara: History Untold kommt dieser ganz schön ins Schwitzen. Ja, der Titel sieht wirklich schön aus, insbesondere mit hohen Settings. Doch ich behaupte, dass etwas mehr Optimierung hier auch noch mehr raus holen könnte. Auch für die Mittelklasse. Immerhin bekomme ich eine enorm detaillierte Welt präsentiert, in der das simple Zuschauen der Figuren schon Spaß macht. Es herrscht reges Treiben auf den Straßen und auch die Produktionsgebäude sind mit schönen Arbeitsanimationen versehen.
Selbst die Tierheerden oder Vogelschwärme sind detailliert dargestellt. Ara ist einfach sehr schön anzusehen. Technische Unzulänglichkeiten sind mir in der Vorab-Version nicht aufgefallen. Lediglich ein paar Übersetzungspatzer hier und da konnte ich ausfindig machen. Ob die in der finalen Version behoben sein werden, kann ich an der Stelle leider nicht beurteilen. Jedoch dürfte zumindest mit einem schnellen Fix zu rechnen sein. Konsoleros schauen allerdings in die Röhre, denn das Spiel erscheint nur für den PC.