Das erste Mal seit dem Jahr 2006 können westliche Spieler wieder in ein Naturkatastrophen-Abenteuer, der besonders in Japan beliebten Serie ,Zettai Zetsumei Toshi’ eintauchen. Weiß ‘Disaster Report 4: Summer Memories’ wie es hierzulande heißt durch ein aufregendes Grundsetting zu überzeugen, oder scheitert es an verschenktem Potenzial? Erfahrt es in unserem Test.
Eine schwere Entwicklungsgeschichte
Widmen wir uns zum Einstieg doch einmal flott der Geschichte der Reihe, damit die Einordnung von Disaster Report 4: Summer Memories leichter fällt. Diese weiß nämlich genau so wie die vergangene Veröffentlichungspolitik zu verwirren, erschienen die Vorgänger doch mit diversen Betitelungen in verschiedenen Regionen der Welt.
Den Startschuss machte Zettai Zetsumi Toshi, welches vom japanischen Studio Irem für Sonys PlayStation 2 entwickelt wurde und außerhalb von Japan gleich zweimal umbenannt wurde: im nordamerikanischen Raum etwa erschien es unter dem Namen Disaster Report, während die europäische PAL-Version den schmucken Titel SOS: The Final Escape erhielt. Der nächste Serieneintrag folgte 2006 mit Zettai Zetsumi Toshi 2, welches ein Jahr später auch Einzug in den Westen erhielt, dort aber plötzlich Raw Danger! hieß. Der dritte Teil hörte dann auf den Namen Zettai Zetsumei Toshi 3: Kowareyuku Machi to Kanojo no Uta. Für Sonys PlayStation Portable entwickelt, schaffte der Titel es allerdings bis auf eine Ausnahme nicht aus Japan heraus – lediglich südkoreanische Enthusiasten der Katastrophen-Adventures durften sich zusätzlich am dritten Ableger erfreuen.
Zettai Zetsumei Toshi 4: Summer Memories (hier nun Disaster Report 4: Summer Memories) sollte ursprünglich in Form eines PlayStation 3-Titels in Japan veröffentlicht werden, ein entsprechendes Datum lag bereits für den April 2011 vor. Aufgrund des verheerenden Erdbebens, welches Japan am 11. März 2011 erschütterte und desaströse gesellschaftliche Folgen mit sich zog, sah sich das Entwicklerstudio gezwungen den Release einzustampfen. Im Jahr 2014 sicherte sich Kazuma Kujo, langjähriger Produzent der Serie, die Rechte an der IP, gründete ein neues Entwicklerstudio mit dem Namen Granzella und ließ die Arbeiten am vierten Ableger erneut aufnehmen – diesmal jedoch für Sonys PlayStation 4 und mit angepeiltem VR-Support.
Im November 2018 war es also soweit und das totgeglaubte Zettai Zetsumei Toshi 4: Summer Memories nahm in den japanischen Videospiel-Regalen Platz. Anderthalb Jahre später nun dürfen auch westliche Spieler sich davon überzeugen, ob das von einer schweren Entwicklungsgeschichte gebeutelte Survival-Adventure die lange Wartezeit wettzumachen weiß.
Heute möchte ich … sein
Zu Beginn dürfen wir uns um die Erscheinung unserer Spielfigur kümmern. Wir wählen, ob wir als Mann oder Frau in das Abenteuer starten möchten und blättern durch einen recht begrenzten Katalog an Gesichtern, Frisuren, Haut- und Haarfarben. Der Charakter-Editor präsentiert sich sehr spartanisch, sodass durchaus die Frage angeführt werden kann, ob es diesen überhaupt benötigt hätte – einem geschenkten Gaul aber, schaut man bekanntlich nicht ins Maul. Mit unserer Wahl zufrieden, konfrontiert uns das Spiel zum Einstieg mit einer vermeintlich gewichtigen Frage. Wir dürfen nämlich darüber nachdenken, wie wir mit der Situation eines schweren Erdbebens umgehen würden und erhalten zahlreiche Optionen, aus denen wir wählen dürfen. Sind wir der strahlende Ritter, der sich selbstlos aufopfern würde; würden wir nur unsere eigene Haut retten; oder gar verängstigt paralysieren.
In einem ähnlichen Stil präsentieren sich im weiteren Spielverlauf immer wieder Situationen, in denen wir auf unterschiedliche Art reagieren dürfen, indem wir aus einem Pool an Verhaltensoptionen wählen. Bedauerlicherweise spüren wir in den meisten Fällen aber nichts von den Auswirkungen unserer Wahlen. Ob wir einer alten Dame den eigenen Sitzplatz mit Freude oder Ärger anbieten, ändert nichts am Ausgang der Situation. Wir erhalten zwar hier und da Moral-Punkte, deren Höhe sich an unserem Umgang mit anderen Personen orientieren, wofür die allerdings gut sind wird nicht so richtig deutlich. Entsprechend erfüllen die Dialog-Optionen hauptsächlich den Zweck mental in die gewünschte Rolle zu schlüpfen – sei es nun jene des sozialen Helden oder egoistischen Rüpels.
Ratlos im Trümmermeer
Haben wir das starke Initialbeben zu Spielstart mehr oder minder fit überstanden, finden wir uns in den Trümmern einer verwüsteten, japanischen Großstadt wieder. Aufgewühlte Menschen versuchen Telefonate zu tätigen, diskutieren in der Gruppe oder erholen sich auf dem Boden sitzend vom Schock der Katastrophe. Wie wir nun vorgehen, bleibt vermeintlich uns überlassen. Ein Umstand der sich leider als problematisch herausstellt, denn in dieser angeblichen Freiheit finden wir uns regelmäßig rat- und ziellos vor.
Versteht mich nicht falsch: ich finde es in der Regel großartig, wenn Entwickler mir das freie Vorgehen in ihrer Welt erlauben, mich nicht pausenlos an die Hand nehmen und von A nach B schleifen. Während gelungene Beispiele allerdings nötige Brotkrumen in Form von Hinweisen im Level-Design streuen, streifen wir in Disaster Report 4 meist ohne richtige Ahnung durch die Straßen, sprechen wahllos Passanten an und hoffen auf irgendeine Weise die nächste Cutscene auszulösen. Solche Phasen der Ratlosigkeit können sich gut und gern mal in die Länge ziehen, was nicht selten in Frustration resultiert.
Natürlich dürfen aber auch die serientypischen Naturgewalten nicht fehlen und so sehen wir uns in regelmäßigen Abständen mit einsetzenden Nachbeben konfrontiert, die mal kleineren, mal größeren Schaden anrichten. Diese spielmechanischen Lichtblicke wissen uns aus der Lethargie der konfusen Wanderschaft zu reißen. Wenn sich ein neues Beben durch Rütteln und Schütteln der Straßen ankündigt, werfen wir uns per Knopfdruck instinktiv zu Boden und versuchen das Ausmaß des drohenden Schadens auszumachen, um gegebenenfalls in Deckung zu laufen. So vielversprechend diese Momente anmuten, so bedauernswert ist auch hier der Umstand anzukreiden, dass großes Potenzial unausgeschöpft bleibt, was nicht zuletzt der mangelhaften technischen Umsetzung geschuldet ist.
Aus der Zeit gefallen
Soviel nämlich vorweg: Grafik-Fetischisten werden mit Disaster Report 4 nicht auf ihre Kosten kommen. Über weite Strecken wirkt die Optik des Titels arg antiquiert, dass diese auch schon bei einem ursprünglich geplanten Release im Jahr 2011 berechtigterweise bemängelt worden wäre. Fast zehn Jahre später fällt dieser Faktor entsprechend stärker ins Gewicht, wenn man sich vor Augen führt, welche grafischen Möglichkeiten mittlerweile bestehen.
An und für sich würde das betagte Grafikleid sicherlich als verschmerzbar hingenommen werden können, würden sich diese Unzulänglichkeiten nicht auch im Gameplay widerspiegeln. Diese lassen sich nämlich leider schwieriger abwinken. Nahezu sämtliche Spielmechaniken und Animationen wirken technisch völlig aus der Zeit gefallen.
Dies äußert sich unter anderem in der Steuerung des Protagonisten, welcher sich nur sehr schwammig und sperrig befehligen lässt. Auf das Nötigste beschränkt, haben wir die Möglichkeit uns im einfachen Schritt oder Sprint fortzubewegen, ferner können wir per Knopfdruck einen lauten Ruf ausstoßen, um auf uns aufmerksam zu machen. Zuletzt wäre da noch die Möglichkeit in die gebückte Stellung zu wechseln, etwa um unter Hindernisse hindurch zu kriechen, oder aber das Gleichgewicht beim Eintreten von Beben zu wahren. Die Animation geht dabei so träge vonstatten, dass es mir oftmals passiert ist, im falschen Moment auf alle Vieren gewechselt zu sein und nicht mehr rechtzeitig aufstehen gekonnt zu haben, um mich vor einstürzenden Wänden in Sicherheit zu bringen.
Spannung im Keim erstickt
Diese schleppende Behäbigkeit zieht sich ernüchternder Weise durch allerlei Spielelemente. Die Kamera lässt sich nur im Zeitlupen-Tempo drehen, was vor allem beim Ermitteln von drohenden Beben-Schäden an den Nerven zehren kann – eine nachträgliche Nachjustierung der Geschwindigkeit ist dabei nicht möglich. Treten wir durch eine Tür, müssen wir uns eine 5-sekündige Animation ansehen, in welcher der Protagonist die Tür öffnet und durch sie hindurchgeht. In ähnlicher Weise hat Resident Evil es in seinen ersten Einträgen gehandhabt – das ist nun aber auch schon gute zwanzig Jahre her und grenzt in einem Spiel aus dem Jahr 2018 an einer Zumutung. Dieses quälend langsame Tempo frustriert insbesondere dann, wenn sich in der Theorie spannende Momente andeuten, deren Inszenierung und Umsetzung aufgrund von schlaffem Tempo und technischer Defizite, das genaue Gegenteil der intendierten Wirkung erreichen.
Ein Beispiel: als wir uns durch einen U-Bahn-Untergrund bewegen und einer eingeklemmten Dame (optional) aus der Patsche helfen, bewegen wir uns bald unglücklicherweise in die Arme zweier betrunkener Widerlinge, die uns ihrer Unterhaltung wegen kurzerhand fesseln. Natürlich lassen uns die Unholde bald aus den Augen, patrouillieren im Hintergrund und geben uns damit die Gelegenheit, uns aus unserer Gefangenschaft zu befreien. Klingt auf dem Blatt nach einer Szene mit Potenzial, wenn nicht die antiklimatische Ausführung wäre. Wir robben nämlich (zunächst wieder ziellos auf der Suche nach einer Möglichkeit die Fesseln zu zerschneiden) im Schneckentempo über dem Boden. Die unnatürliche Kriech-Animation wirkt dabei so unfreiwillig komisch, dass jegliches Spannungsgefühl abhandenkommt. Dieses Gefühl wird noch von einer schwachen Vertonung unterstrichen, welche durch teils unpassende Soundeffekte und meist asynchrone Diskrepanz zum Bildschirmgeschehen, jegliches letzte Gefühl von Immersion verabschiedet.
Starkes Potenzial, schwache Umsetzung
Ähnlich beschneidend wirken sich die hölzernen Animationen der Figuren aus. Wenn etwa ein Autobahnstück durch ein Beben, auf eine mit umherirrenden Passanten gefüllten Straße stürzt, weiß dies durchaus den Puls zu erhöhen. Wenn wir dann aber in der Hoffnung Hilfe leisten zu können los eilen und eine Ansammlung von Körpern finden, die in Reih’ und Glied am Boden liegen und keinerlei Interaktion erlauben, erstickt das die potenziell dramatische Szene gleich im Kern. Disaster Report 4 ist randvoll mit solchen Momenten und das ist immer dann besonders zum Jammern, wenn einfühlsame Szenen mit toller Musikuntermalung aus dem Ärger über das angestaubte Gameplay und die schwache Technik herausreißen und aufzeigen, dass alldem eine tolle Kernidee zugrunde liegt.
Es sind diese feinfühligen Momente, die mich doch wieder mit einem Grund-Enthusiasmus an den Controller lockten, nachdem ich ihn Stunden zuvor frustriert beiseitegelegt hatte. Ich wollte wissen wie die Reise, trotz aller Beschwerlichkeiten weiterging und welche Begegnungen noch auf meinen Protagonisten warteten.
Stichwort Begegnungen: Die Mitstreiter, auf die man trifft und teils im Spielverlauf besser kennenlernt, können durchaus ans Herz wachsen und auch sonstige Begegnungen rühren oder amüsieren. Während die Handlung von Disaster Report 4 über weite Strecken zu unterhalten weiß, schwankt die Tonalität teils jedoch so stark zwischen ulkigem Humor und reißerischer Dramatik, dass gerade mancher Umgang mit ernsten Themen fragwürdig bleibt.
Performance-Probleme und ein rudimentärer VR-Modus
Abseits von grundlegender Spielmechanik und grafischer Präsentation, muss im technischen Hinblick natürlich auch auf die Performance eingegangen werden und leider setzt sich der Trend der Mängel hier fort. Im Test auf einer PlayStation 4 Pro erreichte ich allenfalls temporär stabile 30 Bilder pro Sekunde, oftmals hüpfte die Framerate aber munter in niedrigeren Bereichen umher. Ferner wird jede Gelegenheit genutzt, in einen Ladebildschirm zu wechseln. Jeder Dialog wird mit einer unansehnlichen, kurzen Ladezeit eingeleitet, ein Ortswechsel lädt gar zum Check des Smartphones ein.
Eingangs erwähnt, war es ein Anliegen des Studios, eine VR-Funktion in das Spiel zu implementieren. Diese findet sich nun entsprechend auch in Form eines VR-Mode, welcher nach Freischaltung über das Hauptmenü angewählt werden kann. Leider ermöglicht uns dieser Modus allerdings nicht, das Hauptspiel in der virtuellen Realität zu erleben. Vielmehr können wir im Schienen-Format durch Schauplätze der Handlung streifen und Gebäude in authentischen Größenverhältnissen beim Einstürzen zusehen, wirklich motivierend ist das nicht. Auch die Optik lässt dabei stark zu wünschen übrig, sodass der Modus allenfalls Demo-Charakter aufweist und einer netten, kurzen Spielerei gleichkommt.