Test

Test: Kena – Bridge of Spirits

Die großen Blockbuster-Produktionen in der Videospielbranche gehen heutzutage meistens Hand in Hand mit einer bombastischen Inszenierung, cineastischer Story-Sequenzen und einer einnehmenden Dramaturgie. Kurzum: Spiele wollen immer mehr das Vermögen ihrer filmischen Vorgänger plagiieren. Was aber wenn man den Spieß einmal umdreht ? Was wenn man auf der Grundlage eines imposanten Films ein interaktives Medium kreiert ? Einen Ansatz, den Entwickler Ember Lab nun augenscheinlich auf die Probe stellen will. Mit Kena: Bridge of Spirits veröffentlichte das Animationsstudio ihr Debüt-Spiel unlängst Konsolen-Exklusiv für PlayStation 4/5 sowie den PC. Dass man hier Erfahrungswerte und Kompetenzen aus der eigenen cineastischen Vergangenheit einfließen lässt war bereits mit dem Ankündigungstrailer allseits einsehbar. Grund genug Kena: Bridge of Spirits nun zum Release noch einmal auf den Zahl zu fühlen. Kann das Action-Adventure der Kurzfilmmacher sich letztendlich in einer Reihe mit filmischen Blockbuster-Titel wie God of War oder The Last of Us nennen und noch viel wichtiger: Schafft es Kena: Bridge of Spirits auch spielerisch zu überzeugen?

Einzigartigkeit inmitten von Klischees

In Kena: Bridge of Spirits übernehmen ihr die Rolle der namensgebenden Kena, einem Spirit-Guide, deren Lebensaufgabe darin besteht, verlorene Seelen auf ihrem Weg in die nächste Welt zu begleiten. Kena befindet sich zu Beginn des Spiels auf der Reise zum magischen Bergschrein, auf ihrem Weg trifft sie allerdings auf ein verlassenes Dorf, das von einer dunklen Verderbnis heimgesucht wird und wehrlose Geister an das Diesseits fesselt. Bevor unsere Protagonistin ihr initiales Bestreben in die Tat umsetzen kann, müsst ihr nun das Dorf von dieser dunklen Kraft befreien. Dabei gilt es drei Artefakte in drei differenten Arealen zu finden und die rastlosen Seelen gänzlich von ihrer irdischen Existenz zu lösen.

Dass Ember Lab durchaus fähig ist ein emotionales und inszenatorisches Narrativ aufzubauen, sollte mit Blick auf die Vergangenheit des Studios nicht überraschen. So arbeitete man bereits an zahlreichen ambitionierten Kurzfilmen unter anderem ebenfalls einem Projekt zu The Legend of Zelda Majora’s Mask. Dabei profitiert ihr Videospiel-Debüt optisch von einem putzigen, harmonischen und liebevollen Animationsstil, der stark an die Arbeiten des CGI-Experten Pixar erinnern dürfte und interessanterweise äußerst diskrepant zu der trostlosen Atmosphäre sowie den bedrückenden Geschehnissen steht: Das Abenteuer ist düster, die Thematik morbide und die grafischen Elemente zuckersüß. Ein erfrischendes Zusammenspiel, das zumindest den Hauch von einem Alleinstellungsmerkmal erahnen lässt. In Kombination mit der herausragenden Inszenierung könnte man hier vor allem in den gelungenen Zwischensequenzen kurz annehmen Disney hätte die Verantwortung für die Fortsetzung vom Pixar-Film Soul an Ember Lab abgetreten.

Kena: Bridge of Spirits macht sich dabei vorrangig eine durchdringenden Emotionalität zu Nutze, die allerdings weniger von der taffen Protagonistin selbst getragen sondern mehr durch die einzelne Handlungsstränge als auch von der höchst atmosphärischen Spielwelt vermittelt wird. Kenas Hintergrund selbst bleibt an sich nämlich recht blass, auch wenn die Protagonistin mit einem empathisch und vor allem sympathischen Auftreten punkten kann, lässt das Spiel hier weitestgehend Potential ungenutzt. Trotz der hohen Emotionalität, die die Hintergrundgeschichte unbestreitbar zu tragen vermag, setzet sich genau dieses Fundament hauptsächlich aus klischeebehafteten Handlungselementen zusammen, was durchaus eine gewisse Vorhersehbarkeit mit sich bringt.

Simplizität mit der nötigen Herausforderung

Spielerisch ist Kena: Bridge of Spirits ein eher klassischen und recht simplifiziertes Action-Adventure, das bewusst auf Komplexität und die mittlerweile etablierte Zerstreuung verzichtet. Ihr steuert die Protagonistin dabei aus der Third-Person-Perspektive durch offenere Levelstrukturen und greift auf ein sehr übersichtliches aber dennoch nie monotones Kampfsystem zurück. Was auf den ersten Blick sehr reduziert erscheint, beweist mit Spielfortlauf nämlich durchaus Tiefgang und gewährt genügend spielerische Freiheiten, um auf motivationaler Ebene überzeugen zu können. So kann Kena bereits zu Beginn auf eine magischen Stab zurückgreifen mit dem sie allerhand Gegnern schnelle als auch schwerere Angriffe entgegensetzt. Später kann die mystische Waffen ebenfalls für Fernkampfangriffe in Form von Pfeil und Bogen sowie explosive Bomben Verwendung finden. Zudem steht euch ein magischer Schild zur Verfügung, der einen Großteil des Schadens von der gegnerischen Offensive absorbiert. Die gleiche Simplizität, die sich auf den ersten Blick durch das Kampfsystem zieht, spiegelt sich auch im Skillsystem wieder. So habt ihr hier eine recht überschaubare Auswahl an neuen Fertigkeiten und Passives, die ihr euch durch Karma-Punkte erkaufen könnt. Diese wiederum lassen sich sowohl innerhalb der Spielewelt finden als auch in Auseinandersetzungen mit Bossgegnern verdienen. Trotz der eher limitierten Auswahl bietet der Talentbaum ausreichend Optionen an, um dem Spieler laufenden Fortschritt zu suggerieren, zu motivieren und gleichzeitig den Fokus auf die Vielschichtigkeit der Kämpfe zu legen. So habt ihr später beispielsweise die Möglichkeit auf eine Rammattacke – den sogenannten Geistersprint – zurückzugreifen, während ihr euch aber auch deutlich defensiver präsentieren könnt. Dementsprechend lässt sich beispielsweise auch die Adsorptionskraft eures Schildes jederzeit erhöhen.

Ich sehe Merchandise-Potential!

Dann gibt es da noch die Rott, die dem Kampf eine weitere Facette verleihen und euren Fähigkeitenbaum selbstredend ebenfalls um Optionen erweitern. Die knuffigen schwarzen Geisterchen mit Merchandise-Potential greifen euch in den Schlachten ordentlich unter die Arme – zumindest sofern ihr genügend „Mut“ angehäuft habt. Sind die kleinen Gespenster anfangs noch zu schüchtern um am Kampf zu partizipieren, werden sie mit fortlaufenden Kampfgeschehen deutlich risikobereiter. So sind die Rott nicht nur fähig euch zu heilen sondern ebenfalls Gegner auf Befehl zu stunnen oder gar eure Angriffe zu verstärken. So können die Minions euren Stab beispielsweise in einen mächtigen Hammer verwandeln, der nicht nur größere Schadensmengen austeilen sondern auch mehrere Gegner auf einen Schlag schwächen kann.

Und die Unterstützung durch die kleinen Helferchen ist auch dringend notwendig, denn die Kämpfe in Kena sind überraschend fordernd. Diskrepant zum knuffigen Animationsstil bietet Ember Lab euch hier eine recht anspruchsvolle Erfahrung, die allerdings gekonnt den Balanceakt zwischen Frustration und Motivation zu halten weiß. Das Gegnerdesign präsentiert sich dabei äußerst vielschichtig, was wiederum die Relevanz der differenten Fertigkeiten von Kena in den Fokus stellt. So bedarf es bei Feinden mit verbesserter Deckung zumeist einer anderen Taktik als Kontrahenten, die sich flink durch die Areale bewegen – dennoch gilt: eure Vorgehensweise wird nie ‘hierarisch’ durch das Spiel selbst vorgeschrieben. Gegner mit schützenden Holzschilden kann Kena beispielweise so am Besten mit einem mächtigen Angriff zur Strecke bringen oder diese auch agil hinterrücks lynchen, während fliegende Feinde mit magischen Pfeilen erledigt werden können oder mit einem kräftigen Sprungangriff ins Jenseits befördert werden. Dabei wird das Action-Adventure allerdings zu keiner Zeit unfair sondern präsentiert sich dank dem freiheitlichen und gleichzeitig übersichtlichen Fähigkeitensystem Kenas durchgängig motivierend. Wer sich dennoch auf einen seichten Pixar-Kurzfilm gefreut hat, kann den Schwierigkeitsgrad auch innerhalb des Spiels jederzeit anpassen. Wirklich frustrierend wirkt hingegen ab und an nur die Steuerung. Während die aktiven Angriffe alle gut von der Hand gehen, hapert es gravierend im Fokussystem. Wer sein gegenüber nämlich permanent anvisieren und so Übersichtlichkeit in die beschwerlichen Auseinandersetzungen bringen möchte, wird durchaus vor eine größere Herausforderung gestellt. So löst sich die Zentrierung auf den Feind im Trubel des Kampfgeschehens nämlich gerne mal auf, was der Orientierung deutlich zu lasten fällt und euch schnell unverdient den nächsten Bildschirmtod bescheren kann.

Leicht verdaulich

Abseits des aktiven Handgemenge legt Kena ebenfalls einen großen Fokus auf die atmosphärische und liebevoll gestaltete Spielwelt. Diese separiert sich in mehrere Areale, die im Spielverlauf nacheinander freigeschaltet werden. Das Spiel gibt sich dabei zwar sehr großflächig führt den Spieler aber dennoch recht linear, was den Wiederspielwert immens reduziert. Dank versteckter Sammelgegenstände bietet die offenere Struktur dennoch ausreichen Erkundungspotential. Dabei handelt es sich hauptsächlich um kosmetische Items wie Hüte für eure Rott. Nicht nur innerhalb des Kampfgeschehens kommen die kleinen Helferchen nämlich zum Einsatz auch in den frei begehbaren Arealen dürfen die Waldgeister ihr subsidiäres Können unter Beweis stellen. So greifen sie Kena bei Rätseln unter die Arme, richten Schreine auf oder befreien Bereiche von der destruktiven Verderbnis. Die Rätsel zeigen dabei ein gutes Maß an Komplexität treiben den Spieler aber nie in die Ratlosigkeit. Abseits kleineren Nebenbeschäftigungen wie Trainingsrunden oder die Geisterpost, bei der ihr Items in der Spielwelt aufspüren müssen, lässt Kena: Bridge of Spirits ernsthafte Nebenquest allerdings vermissen. Betrachtet man nun noch die zahlreichen Quicktravel-Punkte, die in den Waldgebieten freigeschaltet werden können, baut sich hier ein leicht verdauliches Abenteuer von 10 bis 15 Stunden Spielzeit auf, das unnötige Spielzeitstreckung umsichtig umgeht und – sind wir mal ehrlich – sich pfiffig genug zeigt, um das simple Spieldesign nicht unwirtschaftlich auszureizen.

Optisch kann Ember Lab mit ihrem Debüt auf ganzer Linie überzeugen. So erstrahlt Kena: Bridge of Spirits im farbenfrohen und putzigen Pixar-Animations-Look, der mithilfe der Unreal Engine perfekt in Szene gesetzt wird. In Kombination mit der atmosphärischen, intensiven musikalischen Untermalung erschafft der Entwickler eine derart dichte Atmosphäre, die der aktuellen Konsolengeneration als auch dem ehemaligen Kurzfilmachern würdig ist. Kleinere Framedrops können zuweilen ab und an noch stören, gravierendere Bugs sind uns auf der PlayStation 5 allerdings nicht untergekommen.

Fazit

Eine inszenatorische Meisterleistung gepaart mit einem kurzweiligen, höchst bekömmlichen und mitunter motivierenden Spieldesign bilden wohl den Überraschungshit des Jahres ab: Kena: Bridge of Spirits beweist eindrucksvoll, dass es definitiv keinen routinierten Videospiel-Entwickler braucht, um ein stabiles Gesamtkonstrukt zu erschaffen, dass nicht nur emotional zu fesseln weiß sondern viel mehr auch unterhalten kann. Das Action-Adventure bringt zwar kaum Innovation in das belebte Genre, erzeugt aufgrund seines diskrepanten Aufbaus aber eine gewisse Einzigartigkeit. Der knuffige Pixar-Look trifft auf ein düstereres, deutlich erwachseneres Narrativ sowie ein (über)forderndes Kampfgeschehen, das euch auf motivationaler Ebene dennoch nie zu verlieren vermag.

In Kombination mit dem deutlich bekömmlichen Spielumfang und der wirklich gelungenen technische Umsetzung schafft es sich das Action-Adventure aus seiner Indie-Nische zu emanzipieren und kämpft sich in den Relevanz-Bereich seiner AAA-Konkurrenz. Minimale Aussetzer wie das miserable Fokussystem oder kleinere Framedrops verzeiht man dem kurzweiligen Abenteuer selbstredend. Was zum Schluss bleibt ist nicht nur ein Animationsstudio, das gekonnt unter Beweis gestellt hat, wie eine ganzheitliche Vision durchaus fehlende Erfahrungswerte liquidieren kann sondern man lieferte uns schlichtweg im September auch direkt die zweite Rechtfertigung für den Kauf einer PlayStation-Heimkonsole. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass Ember Lab das immense Merchandise-Potenzial hinter den knuffigen Rott auch gebührend ausschöpft - verdient hätten sie es.

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Eine inszenatorische Meisterleistung gepaart mit einem kurzweiligen, höchst bekömmlichen und mitunter motivierenden Spieldesign bilden wohl den Überraschungshit des Jahres ab: Kena: Bridge of Spirits beweist eindrucksvoll, dass es definitiv keinen routinierten Videospiel-Entwickler braucht, um ein stabiles Gesamtkonstrukt zu erschaffen, dass nicht nur emotional zu fesseln weiß sondern viel mehr auch unterhalten kann. Das Action-Adventure bringt zwar kaum Innovation in das belebte Genre, erzeugt aufgrund seines diskrepanten Aufbaus aber eine gewisse Einzigartigkeit. Der knuffige Pixar-Look trifft auf ein düstereres, deutlich erwachseneres Narrativ sowie ein (über)forderndes Kampfgeschehen, das euch auf motivationaler Ebene dennoch nie zu verlieren vermag. <br><br> In Kombination mit dem deutlich bekömmlichen Spielumfang und der wirklich gelungenen technische Umsetzung schafft es sich das Action-Adventure aus seiner Indie-Nische zu emanzipieren und kämpft sich in den Relevanz-Bereich seiner AAA-Konkurrenz. Minimale Aussetzer wie das miserable Fokussystem oder kleinere Framedrops verzeiht man dem kurzweiligen Abenteuer selbstredend. Was zum Schluss bleibt ist nicht nur ein Animationsstudio, das gekonnt unter Beweis gestellt hat, wie eine ganzheitliche Vision durchaus fehlende Erfahrungswerte liquidieren kann sondern man lieferte uns schlichtweg im September auch direkt die zweite Rechtfertigung für den Kauf einer PlayStation-Heimkonsole. Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass Ember Lab das immense Merchandise-Potenzial hinter den knuffigen Rott auch gebührend ausschöpft - verdient hätten sie es.Test: Kena - Bridge of Spirits