Nach einer vierjährigen Entwicklungsphase und mit Hilfe finanzieller Unterstützung durch eine Kickstarter-Kampagne konnte das hochgesteckte Ziel der Entwickler der Warhorse Studios endlich realisiert werden: Kingdom Come: Deliverance möchte mit seiner realitätsnahen Grafik und Geschichte sowie einer riesigen Open World punkten.

Willkommen im Böhmen des Jahres 1403

Gleich zu Beginn wird der Spieler in die blutrünstige und intrigante Zeit des Mittelalters zurückversetzt, die die Rahmenhandlung des Spieles bildet: Der im Volk viel geliebte und auch vom Adel geschätzte König Karl IV ist nach langer Krankheit verstorben und hinterlässt alles seinem Sohn Wenzel. Doch im Gegensatz zu seinem Vater ist dieser vor allem an den privaten Freuden des Königtums interessiert und bringt Volk, Adel und sogar die Kirche gegen sich auf, was ihm den Beinamen „der Faule“ einbringt. Dies bekommt sein Halbbruder Siegismund mit, der zu dieser Zeit in Ungarn regiert, und zieht mit seiner Armee nach Böhmen mit dem Ziel, seinen Halbbruder in Gewahrsam zu nehmen und sein Einflussgebiet mit blutigen Mitteln zu vergrößern.

Diese Geschichte im Hinterkopf wird der Spieler nun in einer grafisch atemberaubenden und realistisch animierten Kamerafahrt durch die Natur Böhmens in das kleine Dorf Skalitz befördert, wo Radzig Kabyla regiert und auch unser Held Heinrich sein Zuhause hat. Man wird aber das bedrückende Gefühl nicht los, dass diese Idylle nicht lange halten wird…

Und so geschieht es dann auch kurze Zeit später, dass nach einer durchzechten Nacht und einem beschaulichen Nachmittag mit Prügelei und Pferdekot unser Held Heinrich, der Sohn des Schmiedemeisters im Dorf, der sich zu etwas Höherem berufen fühlt, zusehen muss, wie Markvart von Auliz und dessen Truppen ins Dorf einfallen und die Dorfbewohner sowie seine Familie umbringen und das Dorf niederbrennen. Mit dem neu geschmiedeten Schwert in der Hand, das er eigentlich gerade an seinen Landgrafen abgeben sollte, bleibt ihm und uns nicht anderes übrig als zu fliehen und die Kunde des nahenden Unheils zu verbreiten. Und sich später zu rächen, denn das klare Feindbild, das er in dem Mörder seiner Eltern sieht, ist nicht zu übersehen.

Euer Held beim Mittagessen

Eine Heldenreise ohne Held

Und so geht die eigentliche Reise des Spiels los in die weite Welt von Kingdom Come: Deliverance, wobei die ersten paar Stunden das Tutorial für das durchaus komplexe Spielsystem bilden, das erst in Neuhof endet, nachdem wir von Herrn Radzig, der den Angriff zum Glück überlebt hat, ein Pferd geschenkt bekommen. Davor geht es Schlag auf Schlag, was dem Spieler kaum Zeit zum Atmen und den Schwierigkeitsgrad erahnen lässt, denn so einfach wie in anderen RPGs wird man hier nicht durch die Welt kommen. Zusätzlich zu den rollenspieltechnischen Attributen und Fertigkeiten wie Stärke oder Charisma muss sich der Spieler im feudalen Mittelalter auch auf die verschiedenen Klassen einlassen.

Im Abenteuer wird sich Heinrich in verschiedenen Rollen, bspw. als Wachmann oder Jäger, verdingen müssen, aber auch in der Kommunikation mit verschiedenen Menschen auf sein Aussehen und Auftreten achten. Das Erkunden der weitläufigen Spielwelt ist dabei optional, aber empfehlenswert. Im Gegensatz zu anderen Mittelaltersimulationen ist Kingdom Come: Deliverance nicht auf das Grinden ausgelegt und man kann auch nur mit den ca. 40 Stunden dauernden Hauptquests das Spiel erfolgreich zu Ende bringen, jedoch entgehen einem nicht nur wertvolle Belohnungen, sondern auch ein Großteil des Spielespaßes. Denn nicht nur erlebt man weitere witzige Geschichten wie das Trinkduell mit einem Pater, sondern erfährt auch mehr über die oftmals flach wirkenden Charaktere, die einen begleiten. Alleine ist man in diesen Zeiten in Böhmen nämlich nicht unterwegs – auch wenn unsere Begleiter auf die eine oder andere Weise schnell wieder verschwinden. Das ist leider ein Manko, denn das Spiel geht eher in die Breite als in die Tiefe und lässt viele Möglichkeiten einer tiefgründiger erzählten Geschichte unbeachtet.

Ein Verfolgungsjagd auf Pferden in Kingdome Come: Deliverance

Learning by doing

Dabei erlaubt das Skillsystem, das nicht neu aber komplex ist, viele Varianten sich sinnvollerweise nicht nur in eine Richtung zu entwickeln. In Kingdom Come: Deliverance muss man vielseitig bleiben. Ob als rechtschaffener Bürger, der ab und an mal stehlen muss, oder aber als Schlitzohr in einer Welt voller Misstrauen und Intrigen mit unschuldigem Auftreten – um das zu bekommen, was man will, muss man für alles gewappnet sein.

Im klassischen RPG-Stil wird auf verschiedene Attribute und Fertigkeiten geskillt, die Einfluss auf den Verlauf des Spiels nehmen, was auch ein mehrmaliges unterschiedliches Spielerlebnis zulässt. Nicht jede Information wird einem auf dem Silbertablett serviert und gerade einige Missionen (hier sei vor allem die Mission „Feuertaufe“ genannt) verlangen dem Spieler einiges ab und können zu erhöhtem Unmut führen, wenn man sich nicht darauf einlässt und vorplant. Gerade auch was das Essen und Schlafen angeht, wird man dank des Realismusgedankens gefordert, denn man wird wird nicht weit kommen, wenn Heinrich nicht genug zu Essen bekommt oder müde ist.

Darüber hinaus ist üben, üben, üben angesagt. Gerade in Gesprächen mit anderen Charakteren muss man einzuschätzen lernen, ob man die Leute eher bedrohen, überreden oder einschüchtern will. Dazu sehen wir unsere Werte und die verdeckten Gegenwerte unseres Gegenübers. Nur wenn unsere Werte höher sind, haben wir auch Erfolg, wobei es immer noch optionale Wege gibt in den Hauptquests an seine Ziele zu kommen.

Nicht gerade intuitiv und am PC auch schwerer als an der PS4 zu meisten, ist das Kampfsystem, dessen Verständnis sich erst im Laufe des Spiels einstellt, wobei es zum Glück nicht so häufig wie gedacht zu tatsächlichen Kämpfen kommt – auch je nachdem, wie man Heinrich skillt und in welchem Maße die Subtilität des Spiels beherrscht wird. Ein sinnvolles Item, was jeder Spieler immer bei sich tragen sollte, auch wenn es gerade nicht verwendet wird und schwer zu meistern ist, ist der Bogen. Durch das fehlende Zielkreuz soll eine realistischere Kampfsituation simuliert werden und wenn man ihn beherrscht, kann viel Schaden ausgeteilt werden, jedoch ist die zu langsame Geschwindigkeit der Pfeile ein Problem, das noch gepatcht werden muss (bzw. viele Spieler durch Mods umgehen).

Schwer bewaffnete Wachen in Kingdome Come: Deliverance

Die liebe Not mit dem Spiel

Viele negative Reviews hat das Speichersystem erhalten. Während das Spiel an einigen Punkten automatisch speichert, nach wichtigen erreichten Zielen, nach einem Nickerchen in der Schenke oder nach dem Waschen der Kleidung durch die Bediensteten im Waschhaus (mietet euch also ein Zimmer oder geht euch mal waschen, wenn ihr könnt!), ist man sonst oft auf sich allein gestellt und kann nur mit so genanntem „Retterschnaps“ neue Speicherstände anlegen. Diese bekommt man entweder in den sporadisch gesäten Apotheken und bei Händlern, falls man das nötige Kleingeld hat, oder man braut es sich mittels Alchemie selbst an einem Alchemietisch zusammen. Zu wenige Speicherstände können einen leider manchmal mehrere Stunden zurückwerfen, da das Spiel an vielen Stellen noch verbuggt ist.

Vor allem beim Bug am Anfang nach dem Sturm auf Skalitz ist das Spiel nach der Zwisechensequenz abgestürzt und eine dreiviertel Stunde war nach den ersten zwei Spielstunden weg. Nach einem verpulverten Retterschnaps, um sich abzusichern, lief das Spiel aber relativ flüssig. Laut der Entwickler soll es auch ein neues Speichersystem eingepatcht werden (Stand: 22.02.2018).

Auch die hohen Ansprüche an die Hardware trüben das Spielgefühl etwas. Zwar macht die CryEngine, auf der das Spiel basiert, einiges her und Kingdom Come: Deliverance ist auch auf niedrigen Settings noch sehenswert, doch gerade die langen Ladezeiten und viele FPS-Einbrüche, selbst bei technisch hochwertigen PCs, ist bedenklich. Mit knapp 32 GB nimmt das Spiel zudem viel Speicherplatz auf der Festplatte ein.

Grafisch gesehen ist Kingdom Come: Deliverance wirklich ein Hingucker und in vielen Szenen fast schon fotorealistisch, gerade bei Natureinstellungen. Glaubwürdig, wenn auch nicht bugfrei, verhalten sich die Charaktere. Sie reagieren auf das eigene Verhalten, bspw. ist es auffällig, wenn man auf einem Platz voller Menschen am helllichten Tage herumschleicht, an anderer Stelle gucken sie einen einfach so lange an, bis man wieder verschwindet, ohne zu reagieren. Gerade auf die korrekte geschichtliche Darstellungen der Verhältnisse im Mittelalter wurde Wert gelegt und auch auf kleine Details geachtet, die die Atmosphäre des Spiels bilden und so einzigartig machen, vom Aufbau der Städte über den Belag der Straßen, über die Kleidung der verschiedenen Stände und deren Verhalten zu der geschichtlich korrekten Rahmenhandlung.

Dieser Eindruck wird auch audiotechnisch unterstützt. Sowohl die zum Spielgeschehen passende und sich nicht in den Vordergrund drängende Spielmusik sowie die Hintergrundgeräusche, die manchmal gerade bei Gesprächen etwas repetitiv sind, tragen dazu bei.Abzüge gibt es bei der Synchronisation. Während die Stimmen sowohl in der englischen als auch in der deutschen Fassung gut gelungen sind, merkt man gerade in der deutschen Synchronisation die nicht lippensynchronen, weil auf das Englische zu geschnittenen, Animationen, die vor allem im Vollmodus störend wirken.

Getestet wurde die PC-Version

Wertungskasten
Präsentation
9
Spieldesign
9
Atmosphäre/Story
8
Balance
7
Umfang
9
WebsiteOfizielle Webseite
test-kingdom-come-deliveranceIch lege mich hiermit fest: Kingdom Come: Deliverance wird eines der besten Spiele des Jahres 2018, auch wenn es bei vielen Kritikern nicht den Klassikerstatuts wie bspw. The Witcher erhalten wird. Das Spiel hebt sich nicht explizit aus der Masse der RPG-Mittelaltersimulationen heraus und verwendet viele altbekannte Mechaniken, jedoch macht sich die lange Entwicklungsphase bezahlt und für das, was es letztendlich sein will, ist das Spiel hervorragend: dem Spieler ein möglichst realistisches Setting in einer offenen Welt zu bieten. Auch die vielen noch vorhandenen Bugs (zu denen hoffentlich noch genügend Patches kommen) und die leider etwas flach wirkende Geschichte können diesen Gesamteindruck nicht trügen. Positiv hervorzuheben ist auch, dass sich die Entwickler gegen einen gerade so beliebten Onlinemodus entschieden haben, da sie auf das Eintauchen des Einzelnen in eine authentische mittelalterliche Welt setzen. Nach anfänglichen Schwierigkeiten dürfte sich dieses Projekt für Warhorse und alle Fans bezahlt machen, wenn noch weiter daran gearbeitet wird.