Bereits zum vierten Mal stürze ich mich nun mit Pikmin 4 in die Welt der kleinen, treuen Helferlein. Als großer Fan der Reihe habe ich mich natürlich sehr auf das Spiel gefreut, wohlwissend, dass ich wieder gewohnte Pikmin-Kost erwarten durfte. Doch was geht hier über “more of the same” hinaus? Wie ist es um den Umfang bestellt? Dieser war im Vorgänger schließlich äußerst überschaubar? Und ermüden sich vielleicht die Spielmechaniken mittlerweile? Nach etlichen Stunden bin ich nun schlauer. Und so viel kann ich vorwegnehmen: Pikmin 4 ließ mich euphorisiert, genervt und begeistert zurück. Wie das zusammenpasst?
Kann denn niemand hier ein Raumschiff sicher landen??
Bis auf Teil 1 wusste Pikmin eigentlich nie etwas wirklich Interessantes zu erzählen. Teil 2 wusste die Geschichte aber zumindest noch humorvoll zu verpacken. Mit Teil 3 und nun insbesondere Teil 4 ist aber offensichtlich jeglicher Ideenreichtum aufgebraucht. Zumindest erzählerisch. Denn ich erstelle hier aus wenig Optionen einen Charakter, der von A bis Z komplett blass bleibt und eigentlich nur eine spielbare Hülle ist. Ich weiß nichts über ihn und so etwas wie Charakterzüge präsentiert mir das Spiel auch nicht. Hinzu kommt das simple Konstrukt, dass mein inhaltsleeres Ich ganz viele Leute retten muss. Natürlich mal wieder Olimar, der erneut irgendwo gestrandet ist. Aber auch sein Rettungstrupp, der auf dem gleichen Planeten gestrandet ist. Und, wie sollte es anders sein, auch ich führe eine erfolgreiche Bruchlandung auf dem mysteriösen Planeten durch. Wieso zur Hölle stürzt denn hier jeder ab? Wie auch immer.
Dabei versucht das Spiel in den Anfangsmomenten sehr die Erfahrung aus dem Erstling zu replizieren. Die erste Kontaktaufnahme mit der Umgebung und den Pikmin erinnerte mich sehr an den ersten Teil, ohne allerdings an dessen Moment heranzukommen. Dafür ist es gleichzeitig zu sehr das gleiche und trotzdem zu vorhersehbar. Wann wird es denn besser? Naja, erstmal nicht. Denn mit dem ersten Aufeinandertreffen der verschollenen Rettungscrew eröffnet sich auch das Tutorial, welches anstrengend ist. Denn von da an arbeite ich mich einige Zeit durch Textblöcke durch. Wenig interessante Textblöcke. Und viele. Sehr viele. All das konnte man auch bereits in der kostenlosen Demo spielen und tatsächlich nervte mich diese extrem. Der Einstieg des Spiels nimmt mich immer wieder so dermaßen aus dem Flow heraus und langweilt mich mit Text. Leider ist das ein Problem, welches sich durch das ganze Spiel zieht, wenn auch im Verlauf abflachend. Doch immer wiederkehrende Textbausteine sind tatsächlich ein Problem von Pikmin 4.
Ein neuer Begleiter
Doch genug gemeckert. Vorerst. Die Grundprinzipien eines Pikmin sind natürlich erhalten geblieben. Noch immer bewege ich meine Figur durch clever gestaltete Areale, besiege feindselige Kreaturen, sammle Kram und vermehre meine Pikmin-Population. Jene lerne ich nach und nach kennen und schmiegen sich damit in das Gameplay ein. Wie man es eben kennt. Ein besonderer Kniff ist aber die Hinzunahme von Otschin, einem etwas eigenartigen, aber liebevollen Hund. Dieser besitzt einige Fähigkeiten, die das Gameplay geschickt erweitern. Ich kann ihn etwa Sachen tragen lassen oder auf Feinde hetzen. Darüber hinaus kann Otschin mit einer aufgeladenen Attacke brüchige Krüge zerstören.
Besonders hilfreich ist außerdem, dass man auf ihm reiten kann. Das ist nicht nur eine bequeme und schnelle Art der Fortbewegung, sondern teils auch notwendig. Otschin kann beispielsweise schwimmen, sodass ich auch Nicht-Schwimmer-Pikmin sicher von einem zum anderen Ufer eskortieren kann. Zudem kann ich per Sprung nun weniger hohe Vorsprünge erreichen. Die Integration in die Spielwelt und das Game Design, fühlt sich unglaublich natürlich an. So, als wäre Otschin nicht einfach ein Gimmick oder eine nette Ergänzung. Sondern so, als wäre er als Kernelement implementiert worden, mitsamt dem Spiel drum herum.
Geschickt gespielt
Die Steuerung kann aber mitunter anfangs etwas hakelig sein. Denn zwischen den unterschiedlichen Pikmin zu wählen, sie zu gruppieren, zu werfen, Otschin angreifen zu lassen, ihn etwas suchen zu lassen, all das kann in der Summe etwas viel werden. Daher ist hier schon Eingewöhnungszeit notwendig. Doch hat man diese dann einmal verinnerlicht, funktioniert sie wunderbar. Keine nervigen Doppelbelegungen oder Tastenkombinationen. Es fühlt sich schlichtweg griffig an, was aber auch am sehr präzisen Handling der jeweiligen Ausführungen liegt. Ich hatte nie das Gefühl an mangelnder Kontrolle zu leiden oder dass ich mich mit irgendwelchen Macken herumplagen muss.
Es bleibt auch deswegen noch durchaus koordinierbar, weil ich maximal drei verschiedene Pikmin-Arten mitnehmen kann. Der Rest bleibt in der Zwiebel. Bei noch mehr Arten im Schlepptau, wäre der Umgang mit jenen tatsächlich etwas zu viel des Guten und erspart mir ewig umhergeschalte zwischen den verschiedenen Helferlein. So muss ich aber stets abwägen, welche der Fähigkeiten für meinen nächsten Tag benötige.
Gekonnte Levelstruktur
Pikmin 4 bietet natürlich wieder verschiedene Maps zum Erkunden. Diese besuche ich nicht nur einmal, sondern mehrmals. Denn sie bieten so viel, dass ein virtueller Tag nicht ausreicht, um alles zu entdecken. Verschiedene Bereiche lassen sich außerdem auch erst dann erkunden, wenn Otschin beispielsweise eine neue Fähigkeit erlernt oder ich eine neue Pikmin-Art freischalte, durch die sich wieder neue Möglichkeiten erschließen. Die Areale sind in ihrer Größe durchaus üppig, fühlen sich aber auch nach dem 7. Besuch nicht nach nervigen Backtracking an. Zu tun gibt es nämlich einiges. Es gibt zahlreiche Gegenstände, die ich zum Raumschiff bringen muss, um wertvolles Glitzerium zu generieren. Darüber hinaus gilt es ja auch die Rettungscrew zu finden und natürlich auch Captain Olimar.
Die Level sind in ihrem Aufbau enorm durchdacht, sodass die Größe hier nicht hinderlich ist. Klugerweise hat Nintendo verschiedene Punkte auf der Map vermerkt, an denen ich meine Basis frei verlegen kann. Dies ist dienlich, um Transportwege kurz zu halten und die Effizienz zu steigern. Ich habe mich beispielsweise immer in einem bestimmten Bereich der Karte aufgehalten und dort alles erledigt, bevor ich mich dem nächsten Abschnitt gewidmet habe. Dabei gibt es natürlich wieder klassische Aufgaben, wie Brücken bauen, Objekte verschieben, dank Otschin aber auch kleinere Puzzle, in denen seine Fähigkeiten genutzt werden. Doch besonders zum Tragen kommt dies in den Untergrundarealen.
Easy Mode
Es gibt tatsächlich viele Höhlen in Pikmin 4, in denen das klassische Zeitgefüge nicht gilt und man sich somit mehr Zeit lassen kann. Hier sind insbesondere Rätsel integriert, die die Fähigkeiten der Pikmin und von Otschin voll ausschöpfen. Der Anspruch ist dabei stets seicht, aber sich der verschiedenen Skills zu bedienen macht trotzdem viel Laune. Vor allem, weil sich der Untergrund spielerisch und optisch von der Oberwelt differenziert. Kämpfe gibt es aber auf beiden Ebenen. Diese fallen jedoch zu leicht aus. Während mich gerade die älteren Teile durchaus forderten und ich dabei auch einige Verluste hinnehmen musste, gerade bei Bossen, gibt sich der vierte Teil recht anspruchslos.
Es gibt einige interessante Gegner, die ein gewisses “Durchleuchten” benötigen, um sie zu besiegen. Doch hat man dies getan, geht man auch in diesen Kämpfen sehr locker als Sieger heraus. Die Mehrheit der Gegner lässt sich sogar binnen weniger Sekunden oder gar durch One-Hits ausschalten. Das mag für Neulinge zumindest noch bis zu einem gewissen Punkt gut für den Einstieg sein, doch auf Dauer fehlt die Herausforderung und der ein oder andere Moment, welcher Druck erzeugt. Etwas, worin Teil 1 sehr gut war! Zudem vereinfachen die neuen Eis-Pikmin die Kämpfe sehr. Hämmern diese auf einen Gegner, verwandeln diese den Feind nach kurzer Zeit in einen Eisklotz, wodurch der dann kurz kampfunfähig ist. Doch bis der Eis-Klotz sich auflöst, ist der Gegner meist schon besiegt.
Jede Menge Abwechslung
Druck kann auch durch mangelnde Zeit erzeugt werden. Pikmin 4 wirft mich darin aber nicht unbedingt. Doch ich finde es nicht sonderlich hinderlich. Das liegt insbesondere an der Spielstruktur, die mich unterbewusst motiviert alles zu entdecken, auszuprobieren und freizuschalten. Der eigentlich wenig spektakuläre Gameplay-Loop funktioniert aber aufgrund guter Zugänglichkeit, Kreativität und einer intelligenten Levelstruktur. Denn oft sehe ich Dinge bereits aus der Distanz, die so nahbar scheinen, aber noch nicht zugänglich sind. Nintendo versteht es einfach mich anzutreiben. Aus diesem Grund ist die Missionsstruktur etwas unnötig. Ich habe nämlich ein Quest-Log, welches aber per se komplett ignoriert werden kann, wenn man sich dem Kern des Spiels hingibt und sich vom Entdeckerdrang treiben lässt.
Zu entdecken gibt es nämlich noch mehr. Zum einen wird nicht mehr nur tagsüber gespielt, auch in der Nacht kann gespielt werden. Hier sind die Monster bekannterweise besonders aggressiv, doch mit den neuen Leucht-Pikmin ist auch das zu meistern. Die Nacht-Abschnitte unterscheiden sich dadurch erheblich von den Tagen, da es eher um die Verteidigung geht, anstatt den Abenteurer rauszulassen. Die neue Pikmin-Art integriert sich aber sehr gut spielerisch in das Geschehen, auch die Nacht-Level generell eher als eine Art Tower-Defense Game funktionieren. Dann gilt es die Leuchtbauten mit Hilfe der neuen Art zu verteidigen. Es bildet eine sehr gute Abwechslung zu der Kernmechanik. Mich hätte aber trotzdem gefreut noch neben Leucht-Pikmin andere Fähigkeiten zu nutzen, ähnlich zu der Nutzung der verschiedenen Pikmin-Fähigkeiten tagsüber.
Los, bestrafe mich!
Weitere Abwechslung werden durch Dandori-Matches geschaffen. Darin gilt es in kürzester Zeit möglichst viel Glitzerium durch das Sammeln von Schätzen zu generieren. Dafür müssen aber auch Gegner besiegt, Pikmin gerettet und kleinere Puzzles gelöst werden. Ein Quick-Pikmin in Pikmin, wenn man so will. Auch diese sind kurzweilig, spaßig und bieten mir etwas von meinem ersehnten “Druck”, auch wenn die Dandori-Matches ebenfalls relativ einfach sind. Der Schwierigkeitsgrad ist aber ein generelles Problem in Pikmin 4.
Federn lassen kann man kaum und wenn ich doch mal etwas nicht packen sollte, kann ich einfach zu einem vorigen Punkt zurückspulen. Im Falle der Nachtmissionen erledigt einfach ein Crew-Mitglied den Kram für mich. Das Spiel bestraft mich also nicht für Fehler. Ein großes Versäumnis, was mich ein wenig Survival-Feeling missen lässt, auf diesem fremdartigen Planeten. Es ist, neben den Textblöcken und den ganzen egalen Figuren, die größte Schwäche des neuen Pikmin. Der Schwierigkeitsgrad zieht auch kaum an. Angesichts des deutlich gewachsenen Umfangs hätte ich mir schon eine steigende Kurve in Bezug auf den Schwierigkeitsgrad gewünscht. Die im Hub freischaltbaren Fähigkeiten machen es nicht schwieriger, sondern liefern eher einige Komfortfunktionen, wodurch es durchaus nette Features sind. Im Falle eines höheren Schwierigkeitsgrades, hätte ich aber noch mehr Freude daran.
Süß, altbacken, liebevoll
Technisch bewege ich mich zwischen Freude und Enttäuschung. Bad News first. Die Umgebungen sehen gerne mal altbacken aus, inklusive mancher Objekte in der Spielwelt. Insbesondere die Qualität der Bodentexturen ist eher mäßig. Sie wirken oftmals verwaschen, gleiches gilt für so manche Background-Texturen. Aber nicht konstant. Teils bietet mir Pikmin 4 aber auch sehr schöne Ausblicke in die Spielwelt. Besser funktionieren dagegen die Gegner in ihrer visuellen Darstellung, als auch so manche zu bergende Schätze. Die sahen und sehen immer noch schick aus. Die Umgebungen sehen zudem in Innenbereichen deutlich besser aus. Wahrscheinlich auch deshalb, weil die Texturen weniger Komplexität aufweisen. Grundsätzlich besticht das Spiel visuell aber durch pure cuteness. Die Pikmin und natürlich auch Otschin kann man einfach nur liebhaben.
In der Art wie sie dargestellt und animiert sind, versprühen sie schlichtweg Liebe zum Detail und tragen zu dieser Feel-Good-Atmosphäre bei, die Pikmin 4 versprüht. Mehr noch als die alten Teile, die durch den erwähnten “Druck” eher den Survival-Approach anpeilen und damit mehr noch eine andere Grundstimmung in Bezug auf das Game Design erzeugen. Dazu kommt die herrliche musikalische Untermalung. Und spätestens, wenn die Pikmin im Shanty singen, wenn man durch die Welt streift, ist es um mich geschehen. Das ist einfach wholesome pur! Eine technische Neuerung, die auch spielerischen Profit mit sich bringt, ist die frei justierbare Kamera. Ob sehr nah, nahezu aus Third-Person-Sicht, aber auch aus der Iso-Perspektive. Es entsteht deutlich mehr Freiheit und Übersicht.
Über einen Punkt muss man aber gesprochen haben, wenn man über Pikmin spricht. Die KI ist so eine Sache. Ich erinnere mich im Laufe meiner Pikmin-Treiber-Karriere an zahlreiche Momente, in denen mich die Dummheit der kleinen, süßen Wesen regelrecht zur Weißglut brachte. Plötzlich bleibt ein Pikmin an einer Textur hängen, bleibt stehen, läuft Gegnern in die Arme. Es gehört einfach dazu. Das passiert auch in Pikmin 4, aber seltener. Ich war ein ums andere Mal positiv überrascht, als die Kleinen den ein oder anderen (richtigen) Weg wählten und nicht irgendwo hängen blieben und sich dann nicht weiterbewegten. Aber Hobby-Choleriker dürften trotzdem auf Ihre Kosten kommen, denn KI-Aussetzer gibt es trotzdem immer mal wieder. Gerade in hektischen Situationen, bzw. im Dandori-Duell, sorgt sowas mal für Aufreger.