Unverkennbar teilt das neu erschienene Vampyr viele Gemeinsamkeiten mit dem Vampirspielklassiker aus dem Jahr 2000 Vampire – The Masquerade Redemption und hat sich leider nicht so weiterentwickelt wie möglich…

Guter oder schlechter Vampir?

Vampire – The Masquerade Redemption war mein erstes und bis dato letztes Vampir-Spiel, weswegen es mich vielleicht gerade deshalb zu Vampyr hingezogen hat. Ich kann mich noch genau an die Faszination erinnern, als ich in dem Zimmer meines Cousins saß und ihm zuschaute, während in einer Zwischensequenz in einem Kerker irgendeine Person vor sich hinsabbernd irgendeine Geschichte erzählte. Dieses Bild ist mir bis heute im Kopf. Vampire an sich sind nicht so mein Fall, aber mit Vampyr wollte ich es wieder versuchen.

Jonathan Reid, der Vielkönner: Soldat, Arzt, Detektiv, Vampir

Im London des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, in den Nachwehen des Ersten Weltkriegs, erwacht der Soldat und Doktor Jonathan Reid auf einem Gelände mit Massengräbern, ohne jegliche Erinnerung daran, wie er dahin gekommen und was passiert ist. Er weiß nur eins: dass er trinken muss und so bringt er den erstbesten Menschen um, den er sieht – was leider seine geliebte Schwester ist, die auf der Suche nach dem Verschwundenen war. In der anschließenden Flucht vor Wachleuten offenbart sich auch schon in die Geschichte dieses Abenteuers: Dr. Reid will denjenigen, der ihn offensichtlich zu einem Vampir gemacht hat, finden und zur Rede stellen. Und Gerechtigkeit für ihn und seine Schwester üben. Zum Glück bekommt er dabei Hilfe vom etwas seltsam anmutenden und scheinbar von Vampiren besessenen Dr. Swansea und dessen Krankenhaus, wenn man es so nennen kann. Denn im London des Jahres 1918 grassiert die spanische Grippe in den Straßen, die bereits einen Großteil der Bevölkerung dahingerafft hat und wo noch andere Gefahren in Form von Vampiren, Skals und weiteren Monstern herrschen.

Jede Karte ein einzigartiges Abenteuer

Das Entwicklerstudio der Erfolgsserie „Life is Strange“ Dontnod bleiben ihrem Stil treu und liefern ein durchaus überzeugendes RPG-Action-Spiel ab. In alter Rollenspielmanier muss der Spieler durch die leergefegten Straßen Londons laufen und verschiedene Quests bestehen, die einen entweder in der Story weiterbringen oder Belohnungen zur Verfügung stellen. Dabei hat jede Aktion Konsequenzen, mit denen man selber und die Menschen um einen herum leben müssen. Entscheidet man bspw. sich an Menschen zu laben, bringt das zwar einen hohen XP-Boost, die im Rest des Spiels eher zurückhaltend vergeben werden, was an manchen Stellen des Spiels dazu führt, dass der Charakter unterlevelt ist, führt jedoch immer unwiderruflich – anders als in The Masquerade – zum Tode. Anzapfen ist nicht. Außerdem hat dies Einfluss auf den Gesamtgesundheitszustand des jeweiligen Viertels, in dem man sich befindet. Je mehr Tote desto schlechter der Gesundheitszustand. Hilft man hingegen Leuten, indem man sie heilt, Reid ist schließlich Doktor, verbessert sich ihre Blutqualität – sehr verlockend – und führt zu einer gesünderen Umgebung.

Der Rest besteht daraus, gegen Untote und andere Monster sowie menschliche Patroullien, denn Vampire sind nirgendwo gern gesehen, zu kämpfen und Gegenstände und Waffen zu finden und zu verbessern und besagte Medizin herstellen zu können. Dazu hat Reid zum Glück in jedem Viertel ein sicheres Quartier, in dem er ungestört an der Werkbank werkeln und sich im Bett hochleveln kann. Bossgegner gibt es natürlich auch, auch wenn der Loot nicht sehr üppig ausfällt und sich öfters die Frage nach der Sinhaftigkeit eines solchen Kampfes stellt.
Und damit kommen wir auch schon zum Skilltree, der in Vampyr in einer sehr abgespeckten und übersichtlichen Form dargestellt wird. Die einzelnen aktiven und passiven Fähigkeiten wie Schattennebel (eine Explosion aus Schatten) oder Autophagie (Selbstheilung) lassen sich noch weiter verbessern und beeinflussen sich nicht gegenseitig. Neben den vampireigenen Fähigkeiten, stehen verschiedene Waffen zur Verfügung, die im Nahkampf, bspw. Säbel oder Knüppel, und Fernkampf, bspw. Pistole oder Pflock, kombiniert werden können.

Rennen und kloppen

Leider hat Vampyr einiges and negativen Punkten zu bieten:
Die KI der NPCs präsentiert sich als nicht sehr ausgefeilt und manchmal etwas nervig und deren Design sowie die Animationen wirken hölzern und altbacken. Während NPCs bei Gesprächen im Hintergrund gern mal festbuggen, unterbechen Gegner ihre Kampfanimationen (bzw. generieren keinen Schaden, falls man getroffen wird), wenn Reid von ihren Kumpanen Blut trinkt. So regeniert sich die Stamina-Anzeige und man kann wieder voll angreifen, was zu einem eintönigen Kampfablauf führt. Auch Kampfgeräusche locken nur die vorprogrammierten Gegner an. Über die Steuerung mit dem Controller kann hier keine Aussage gemacht werden, aber die Führung mit Maus und Tastatur erscheint durch die Abfrage etwas gewöhnungsbedürftig. Die teilweise seltsame Kameraführung führt gerade bei Dialogen zu lustigen Situationen.
Auch die Geschlossenheite der Welt ist ein Manko, da man immer wieder vor geschlossenenen Toren oder Wänden aus Fässern steht, die einem den Weg versperren. Das Erkunden ab vom vorgefertigten Weg führt leider dazu, dass Vorgänge getriggert werden, die an einer anderen Stelle im Nachhinein (Steuerung, Ausgührung und Sinn) erklärt werden.
Auch die Glaubwürdigkeit lässt zu wünschen übrig, wenn Reid durchgängig Menschen auf der Straße tötet (töten muss, denn umgehen kann man die Feinde nicht), der Gesundheitszustand der Viertel aber allein vom Tod oder Leben einiger weniger ausgewählter Zivilisten abhängt.

Wertungskasten
Präsentation
5
Spieldesign
5
Atmosphäre/Story
8
Balance
6
Umfang
8
WebsiteOffizielle Webseite
test-vampyr<strong>Christina meint</strong>: Die Erwartungen and das Nachfolgeprojekt nach dem großen Erfolg mit der Life Is Strange-Reihe des französischen Entwicklerstudios Dontnod waren hoch und zumindest teilweise berechtigt, denn wenn sie eines können, dann Geschichten zu erzählen und Spieler zu Entscheidungen zu zwingen, die teilweise verheerende Auswirkungen auf den weiteren Spielverlauf haben. Der Rest des Spiels bleibt eher im Mittelmaß hängen. Die hölzerne Grafik und die repetitiven Kampfhandlungen, die gerade bei "Bossgegnern" unangenehm auffallen, das schlauchige Leveldesign und die gerade in Kampfsituationen mit mehreren Gegnern fragwürdige Kameraführung trüben nach einigen Stunden Spielzeit den durchaus positiven Ersteindruck des Spiels. Vampyr erfindet das Genre nicht neu und präsentiert auch nichts, was nicht schon in anderen RPGs dagewesen wäre und doch ist es eines der Spiele, die es schaffen, einen trotz Mängel in den Bann zu ziehen und gerade durch einige überraschende Wendungen in der Story viele schöne Spielstunden zu gewähren. Beim nächsten Sale könte man zuschlagen, muss man aber nicht. <br><br> <strong>Yvonne meint</strong>: Mit Vampyr zeigt Dontnod Entertainment einmal mehr, dass der französische Entwickler durchaus mehr kann als nur storylastige Episoden-Adventure zu erzählen. Der Ausflug ins düstere London des frühen 20. Jahrhunderts bietet einen erfrischenden Settingswechsel, das ausgeklügelte moralische System verleiht dem Vampir-Abenteuer zudem eine ernsthafte Note, die den Titel weit über ein stumpfes Gemetzel hinaushebt. Lange, ausschweifende Dialoge wechseln sich dabei gekonnt mit den fordernden Kampfeinlagen ab und kreieren so zunächst eine abwechslungsreiche Spielerfahrung, die jedoch unter so manch eindimensionalem NPC und der geringen Variation an Gegnertypen leiden muss. Schlussendlich muss sich Vampyr auch seinen technischen Mängeln geschlagen geben: Das immer wieder gleichförmige Leveldesign, die eigensinnige Kamera, lange Ladezeiten und die angestaubte Grafik mindern den Spielfluss enorm. Doch trotz aller Kritikpunkte weiß Vampyr im Rahmen seiner 15 Stunden langen Kampagne zu unterhalten. Das Schicksal der Dorfbewohner und Bezirke wächst euch mehr und mehr ans Herz, während die immer enger werdende moralische Zwickmühle und der permanente Drahtseilakt zwischen Leben und Tod den eigenen Ehrgeiz anheißen. Dontnods neustes Projekt ist sicherlich kein Meisterwerk und mit seinen 60 Euro auch nicht gerade günstig, dennoch ist Vampyr gerade mit seinen frischen Ideen für die experimentierfreudigere Spielerschaft einen Blick Wert und kann mit Sicherheit über so manch spielarme Sommerwoche hinwegtrösten.