Deadly Premonition: Eine Hassliebe, die ihresgleichen sucht

Im Jahre 2010 veröffentlichte Rising Star Games das vom japanischen Studio Access Games entwickelte Videospiel Deadly Premonition. Seinerzeit sorgte der Titel für vielerlei Furore unter den Gamern und spaltet seither die Geister. Heute – beinahe zehn Jahre – später wird der Titel von einigen verehrt und erhält im Juli dieses Jahres die langersehnte, aber nie erwartete Fortsetzung. Schlüpft in euren roten Regenmantel, setzt den Kaffee auf und legt das Zigarettenpäckchen bereit, denn in diesem Artikel schauen wir uns das Spiel einmal genauer an und gehen auf die Faktoren ein, die dafür sorgen, dass Deadly Premonition gleichzeitig gehasst und verehrt wird.

Deadly Premonition: Um was geht’s eigentlich?

Bevor wir mit unseren Ermittlungen beginnen und euch unsere Indizien präsentieren, wollen wir euch noch einmal erklären, wovon Deadly Premonition eigentlich handelt. Das ist ehrlicherweise gar nicht allzu einfach, immerhin hat man stellenweise das Gefühl, das Spiel wisse selbst nicht so genau worum es überhaupt geht. Deadly Premonition ist ein Open-World-Survival-Horror-Mystery-Titel, welcher die Spieler in die Rolle von FBI-Agent Francis York Morgan schlüpfen lässt. Dieser Teufelskerl ermittelt im verschlafenen Städtchen Greenvale den Mord an einer jungen Frau. Gemeinsam mit dem örtlichen Polizeichef George Woodman und dessen Kollegin Emily Wyatt lernt man das Örtchen näher kennen und sammelt nach und nach Beweise.

So weit, so simpel. Spannender ist da schon Zach – Yorks zweite Persönlichkeit, die ihm beim Ermitteln und grundsätzlich beim Nachdenken hilft. Dies drückt sich im Spiel mit teils unangenehm intensiven Selbstgesprächen aus. Im Laufe des Spiels kommt man dem Bösen genauso auf die Schliche, wie interessanten Details aus Yorks Leben und Schicksal. Auf der Bewertungsplattform Metacritic steht die Originalversion für Xbox 360 derzeit bei stolzen 68 Punkten, vergeben von renommierten Kritikern. Auffällig ist, dass das bekannte Medium destructoid ganze 100 Punkte vergibt, während IGN es mit 20 Punkten abstraft. „Awful in nearly every way“, hieß es dort damals. Woher diese massive Diskrepanz kommt, erklären wir euch jetzt.

Potpourri aus Genres und Settings

In der vergangenen Konsolen-Ära der Xbox 360 und PlayStation 3 gab es Survival-Horror-Spiele wie Sand am Meer. Meist handelte es sich dabei jedoch um graue Mäuse, die in der Masse und zwischen vieler grandioser Titel untergingen und sich nicht in unseren Gedächtnissen festsetzen konnten. Um das zu verhindern, implementierten die Entwickler von Deadly Premonition eine Open-World in ihren Titel. Zur damaligen Zeit war das wohl eine Art Premiere für das Genre des Survival-Horrors. In Deadly Premonition können wir mit York also durch das weitläufige Greenvale laufen und fahren. Das ist jedoch nicht alles: In klassischer GTA-manier müssen wir uns außerdem um Yorks Hygiene und Körperpflege kümmern und können unsere Freizeit mit Angeln und Wettrennen verbringen.

In Greenvale können wir zudem Läden aufsuchen, Lebensmittel shoppen und diese auch zu uns nehmen. Dabei haben die Händler und Bewohner alle ihren eigenen Zeitrythmus. Das beeinflusst nicht nur unsere Shoppingtrips, sondern auch gewisse Missionen, die wir nur zu bestimmten Zeiten starten können. Diese Mischung aus GTA und Survival-Horror à la Resident Evil mag zunächst eigenartig klingen – und das ist sie auch. Aber es gibt der Stadt und den Bewohnern eine gewisse Lebendigkeit, die andere Spiele oftmals vermissen lassen. Auch die langen Autofahrten durch Greenvale haben oftmals etwas Meditatives, wenn wir durch die Einöde fahren und Yorks Selbstgesprächen mit Zach lauschen.

Eine einzigartige Spielerfahrung

Wenn wir nicht gerade angeln oder durch die Gegend fahren, schnetzeln wir uns vermutlich gerade durch eine Horde gruseliger Monster. Der Survival-Horror erinnert stark an Genre-Veteranen wie Resident Evil, Silent Hill oder auch Evil Within. Wir bewegen York durch schlauchige, dunkle Gänge und bekämpfen von Zeit zu Zeit besagte Monster. Dabei ist Deadly Premonition den genannten Titel spielerisch keinesfalls überlegen – ganz im Gegenteil. Die Spielmechanik ist unterirdisch und bringt uns die meiste Zeit über sogar zum Verzweifeln. Die Hakelige Kameraführungen und umständliche Waffen- und Item-Bedienung sind nur zwei Dinge, die uns auf die Schnelle einfallen.

Im Grunde könnte man meinen, das Entwicklerstudio hatte bereits ein fertiges Spiel, doch wurde dann dazu gezwungen noch ein Kampfsystem zu implementieren. So unfertig wirkt das Gameplay die meiste Zeit über. Dennoch: Diese Unfertigkeit, in Kombination mit der Open-World und dem wunderbaren Plot – auf den wir gleich noch zu sprechen kommen – ergeben eine einzigartige Spielerfahrung, die ihresgleichen sucht. Und das meine ich vollkommen ernst. Seit meinem ersten Durchlauf bin ich auf der Suche nach einem Titel, der mir eine ähnliche Erfahrung liefern kann und ich habe bislang nicht einen einzigen Titel gefunden, der diese Lücke füllen konnte.

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Liebens- und merkwürdige Charaktere

Im Laufe unseres Abenteuers begegnen wir vielen verschiedenen Charakteren. Allen voran natürlich dem sogenannten Raincoat Killer, dem Bösewicht unserer Geschichte. Dieser selbst ist schon eine grandiose Erscheinung und durchaus angsteinflößend, wenn er York mit schleifender, roter Axt hinterherjagt. Viel spannender, weil gesprächiger und weniger gefährlich sind die Charaktere, mit denen York bei seinen Ermittlungen spricht. Da wäre zum Beispiel ein leicht trotteliger Hilfs-Sheriff, ein mysteriöser Mogul im Rollstuhl, dessen Gesicht von einer Atemmaske verdeckt wird und die kleinen Zwillinge, die in der Öffnungssequenz des Titels die Leiche der jungen Frau finden. Auch die schwerhörige Wirtin des Gasthauses, in dem York untergebracht ist, ist fantastisch.

Deadly Premonition lebt von all diesen diversen Figuren, sie geben dem Spiel eine Seele und sorgen nicht selten für ulkige Szenen und What-the-Fuck-Momente. Ob das alles immer genau so gewollt ist? Um es mit dem Wendler zu sagen: „Egal.“ An der Stelle ist David Lynchs Kultserie Twin Peaks ein absolut guter Vergleich. Auch hier lebt die Geschichte von den teils absurden Charakteren.

Deadly Premonition: Trash-Movie-Vibes

Gerade wenn du denkst, dass die Prämisse von Deadly Premonition nicht schon bizarr genug ist, überrascht dich die Handlung erneut. Wie gesagt, die Dialoge und das Storytelling sind teils etwas stumpf und wirken unbeholfen, aber die übernatürlichen Aspekte des Spiels fügen ein unerwartetes Maß an Eigenart und Angst hinzu. Auf der Suche nach dem Raincoat Killer lotst das Spiel uns hin und wieder auf falsche Fährten, lädt uns zum mit raten ein und hält die ein oder andere Wendung parat.

Deadly Premonition wirkt wie der größte Trash-Movie der Xbox 360 und PlayStation 3 Ära. Oft hasst man das Spiel, liebt es wieder oder fragt sich, warum man es überhaupt spielt und stellt dann wieder fest, dass man es schon wieder gestartet hat. Das Spiel ist voll mit verrückten Dialogen, die uns erst zum Lachen und eine Minute später zum Augen verdrehen bringen. Die Anzahl an Popkultur-Referenzen ist immens und York ist einfach ein fantastischer Protagonist, der mit seiner sarkastischen und exzentrischen Art lange im Kopf bleibt. Genau wie das Spiel selbst. Es ist das perfekte Sandwich aus Truthahn, Marmelade und Müsli.

Ein Abschluss und ein Ausblick

Was also zeichnet diese Hassliebe nun aus und wie kam sie zustande? Ganz einfach. Deadly Premonition liefert einerseits eine fantastische Geschichte mit liebenswerten Charakteren, spannenden Entwicklungen und im Prinzip abwechslungsreichen Gameplay. Allerdings versagt es auf der technischen Seite. Die Grafik war selbst im Jahre 2010 nicht mehr zeitgemäß und über die Steuerung sprechen wir lieber gar nicht erst. Doch der dadurch entstehende Trash-Movie-Vibe ist schlichtweg einzigartig und kann Survival-Horror-Fans easy catchen.

Ich für meinen Teil liebe Deadly Premonition. Es steckt bis obenhin voll mit Liebe und das spürt man. Nicht jedes Spiel muss ein grafisches Meisterwerk sein oder neue Standards in Sachen Gameplay setzen, solange es dem Spieler eine einzigartige Erfahrung liefert – und das tut dieser Titel wie kaum ein anderer. Ob der Nachfolger, Deadly Premonition 2: A Blessing In Disguise diesen Vibe, die Erfahrung wieder hervorrufen kann? In nicht allzu ferner Zeit werden wir es erfahren und ich bin guter Dinge.

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Autor*in

Domenik Boss
Domenik Boss
Redakteur

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