Während wir Of Bird and Cage wegen dessen eindringlicher Thematik, die mit einem schweren Heavy Metal-Soundtrack untermalt ist, gelobt haben und uns mehr experimentelle Ansätze wie in Yi and the Thousand Moons wünschen würden, werfen wir nun ein Ohr auf das in dem dieses Jahr erschienene The Longest Road on Earth. Wie reiht sich der Titel in unsere Serie “Die Musik macht das Spiel” ein?
In The Longest Road on Earth steuern Spieler*innen in einem grob-pixeligen, in Grautönen gehaltenen 2D-Sicescroller Tier-Mensch-Hybrid-ähnliche Wesen (Körper eines Menschen, aber Köpfe verschiedenster Tiere) und verfolgen deren alltägliche Geschichten. Diese werden nicht durch eine Erzählung oder Dialoge präsentiert, sondern durch insgesamt 24 von einer der Entwickler*innen, Beicoli, gesungenen und eigens für das Spiel komponierten Songs, die einen ruhig und entspannt begleiten. Denn das Spiel hat keine Eile. Manchmal läuft man einfach die Straße entlang, an einer langen Reihe von Wohnhäusern und Geschäften vorbei, bis man die nächste Bahnstation erreicht, oder rennt an anderer Stelle vor den Kindern weg, deren Schneemann man gerade zerstört hat. Und immer spielt ein Lied im Hintergrund. Längere Passagen, in denen nichts geschieht, werden mit Loops instrumentaler Arrangements überbrückt. So wird durch den Wechsel zwischen den Instrumentalteilen und Gesangseinlagen schnell klar, wenn im Spiel wieder was passieren wird.
Wobei “passieren” hier vielleicht nicht der richtige Begriff ist, denn im Grunde “passiert” nicht wirklich etwas. Außer dass Spieler*innen mit einer Vorliebe für langsame, narrative Spiele insgesamt fünf verschiedenen Charakteren folgen und versuchen durch die eigene Interpretation des Gesehenen und Gehörten, ihre Geschichten zu erleben. Denn anscheinend soll das ein Kernelement von The Longest Road on Earth darstellen: den Menschen zum Nachdenken anregen und ihm viel Raum für Interpretationen bieten.
Ablenkung von dem eigenen Gedankenfluss findet sich in diesem Titel nicht. Die Steuerung ist auf ein Minimum reduziert. Die Charaktere lassen sich mit Pfeiltasten durch ihre Umgebung bewegen, wobei Spieler*innen nicht frei entscheiden können, wo sie hinlaufen sollen. Das Spiel hat schon eine ganze bestimmte Richtung im Sinn, was vermutlich auch mit dem Timing der Songs zusammenhängt. Falls eine Aktion ausgeführt werden soll, erscheint ein Rechteck über dem Kopf des Charakters, welche mit der Leertaste ausgeführt werden kann. Manchmal erscheinen dann Bilder, wenn man sich etwas ansieht, eine kleine Zwischensequenz läuft ab oder man bewegt das eigene Gefährt voran, wenn man nicht gerade läuft.
Wer viel Action sucht, ist bei diesem Titel des spanischen Entwicklerteams Brainwash Gang in Kooperation mit TLR Games definitiv fehl am Platz. Vielmehr werden sich diejenigen daran erfreuen, denen atmosphärische und auch emotional erzählte Geschichten liegen. Groß angelegte Storybögen sollte man nicht erwarten, vielmehr erzählt The Longest Road on Earth Geschichten aus dem Alltag, die jede*r kennt und vermutlich schon mal erlebt hat. Der Titel legt wert auf die für jede*n individuelle Besonderheit von Momenten, denen wir tagtäglich begegnen, für die wir uns aber selten die Zeit nehmen, sie wertzuschätzen. Passend dazu sollte auch den Songtexten in den verschiedenen Szenen Beachtung geschenkt werden, die vermutlich jede*m eine etwas andere Geschichte erzählen werden.
Und damit es nicht allzu eintönig wird, lässt sich das Spiel im Gameplay und in visueller Form immer wieder etwas einfallen. So muss man bspw. an einigen Stellen herausfinden, welche Tastenkombination gerade von einem verlangt wird, oder man wird mit interessanten Perspektivenwechseln und Veränderungen in der Tiefe (aka Zooms) konfrontiert.
Für einige mag das durch Kickstarter erfolgreich mitfinanzierte The Longest Road on Earth etwas zu monoton erscheinen mit der grau-in-grauen Umgebung, der pixeligen Grafik, die manchmal nicht ganz genau erkennen lässt, was für Gegenstände zu sehen sind, und den mitunter nicht sehr abwechslungsreich klingenden Liedern. Jedoch kann man sich auch in diesem gerade mal zwei Stunden und vier Kapitel dauernden Titel verlieren. Es scheint gleichzeitig alles profan aber auch bedeutsam und erlaubt uns einen kurzen Blick auf uns selber zu werfen.
Das Spiel ist auf Steam, GOG und im Epic Store für Windows und auch als App für Android und iOS erhältlich. Um die Songtexte zu verstehen, sind Englischkentnnisse von Vorteil, jedoch ließe sich das Spiel auch ohne diese spielen.